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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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sah dem Ort, wo ihre Tochter beerdigt worden war, so ähnlich, daß Norah den Atem anhielt. Ihr kam dieser Tag im März wieder in den Sinn, das feuchte Gras unter ihren Füßen, die tiefliegenden, drückenden Wolken und David still und fern an ihrer Seite. »Asche zu Asche, Staub zu Staub.« Der Boden war ihnen unter den Füßen weggezogen worden.
    »Fahr mal da runter«, sagte sie. »Bestimmt kann uns dort jemand weiterhelfen.«
    An der Kirche angekommen, stiegen sie aus dem Wagen und kamen sich in ihrer Businesskleidung großstädtisch und völlig fehl am Platz vor. Das Gras unter Brees gelben Schuhen war dunkelgrün und saftig. Norah legte ihre Hand auf Brees dünnen Arm, und der gelbe Leinenstoff fühlte sich weich und fest zugleich an.
    »Du wirst diese Schuhe ruinieren«, sagte sie.
    Bree sah an sich hinunter, nickte und streifte sie ab.
    »Ich frage mal im Pfarrhaus nach«, sagte sie. »Die Eingangstür steht offen.«
    »Nur zu. Wir warten hier.«
    Mit ihren Schuhen in der Hand ging Bree durch das üppige grüne Gras. Ihre blassen Beine mit den bestrumpften Füßen hatten etwas Mädchenhaft-Verletzliches. Ihre Schuhe baumelten hin und her. Norah sah sie plötzlich vor sich, wie sie hinter ihrem Elternhaus über ein Feld lief und das Gelächter durch die sonnenflimmernde Luft klang. Paß auf dich auf, dachte sie. Paß auf dich auf, mein Schwesterherz.
    »Ich vertrete mir mal die Beine«, sagte sie zu Paul, der noch immer in gekrümmter Haltung auf dem Rücksitz saß. Sie ließ |397| ihn dort zurück und folgte dem Kiesweg zum Friedhof. Das eiserne Tor war nur angelehnt, und Norah wanderte zwischen den verwitterten grauen Grabsteinen umher. Sie war schon Jahre nicht mehr an Phoebes Grab gewesen. Sie blickte zurück zu Paul. Er stieg aus dem Auto und reckte sich, die Augen durch eine dunkle Sonnenbrille verdeckt.
    Das Kirchentor war rot. Es gab sofort nach, als Norah es berührte. Der Altarraum war schummerig und kühl, und die bunten Glasfenster stellten hell leuchtende Heiligenbilder, biblische Szenen, Tauben und Feuer dar. Norah dachte an Pauls Zimmer, das Durcheinander der Farben dort, und wie beruhigend diese dagegen wirkten, wie beständig und verläßlich sie in den Raum fielen. Ein Gästebuch lag aufgeschlagen da. Mit ihrer geschwungenen Schrift trug sie sich ein und dachte an die Nonne, die ihr die Schreibschrift beigebracht hatte. Norah hielt inne. Vielleicht war es einfach nur die Stille, die sie die paar Schritte durch den ausgestorbenen Mittelgang machen ließ. Die Stille und dieses Gefühl des Seelenfriedens und der Leere, die Art und Weise, wie das Licht durch die bunten Glasfenster fiel, der aufgewirbelte Staub. Norah ging durch das Licht hindurch: Rot, Dunkelblau, Gold.
    Die Sitzbänke rochen nach Bohnerwachs. Sie ließ sich in eine hineingleiten. Violette, leicht staubige Kniebänke. Sie dachte an Brees altes Sofa, und dann kam ihr plötzlich die Erinnerung an die Frauen aus dem nächtlichen Bibelkreis – jene, die zu ihr nach Hause gekommen waren und Geschenke für Paul abgegeben hatten. Sie entsann sich, wie sie ihnen einmal geholfen hatte, die Kirche zu putzen, wie sie die Holzbänke poliert hatten, indem sie auf Lumpen mit dem Hintern über die langen, glatten Planken geglitten waren. »So haben wir mehr Gewicht«, hatten sie gewitzelt, und ihr Lachen war durch den Altarraum geklungen. In ihrem Kummer hatte sich Norah von ihnen abgewandt und sie nie wieder aufgesucht, doch jetzt wurde ihr klar, daß auch sie gelitten hatten, daß auch sie geliebte Menschen verloren, |398| Krankheiten überstanden oder sich und andere enttäuscht hatten. Norah hatte nicht eine von ihnen sein wollen, hatte ihren Trost nicht gewollt, und so war sie davongelaufen. Daran zurückdenkend, stiegen ihr Tränen in die Augen. Warum riß sie sich nicht zusammen, das Ganze lag doch achtzehn Jahre zurück. Dieser Kummer durfte nicht wieder hervorsprudeln wie ein Quell.
    Es war sonderbar, aber sie weinte auf einmal bitterlich. Sie war so schnell so weit gelaufen, um diesem Augenblick zu entrinnen, und doch war er nun da: Eine Fremde schlief auf dem ausgezogenen Sofa und trug ein mysteriöses, neues Leben in sich, und David zuckte nur mit den Schultern, resignierte und wandte sich ab. Sie wußte, daß er gegangen sein würde, wenn sie nach Hause kam, daß er vielleicht einen Koffer gepackt, sonst aber nichts mitgenommen hätte. Sie weinte ob dieser Gewißheit, weinte um Paul, um die Verbitterung und Verlorenheit in seinen

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