Die Tochter des Fotografen
einen Platz in der Welt erkämpfen wollten, einen hohen persönlichen Preis. Während der Recherche bekam ich immer wieder Geschichten zu hören, die von tiefen Enttäuschungen, aber auch von großem Mut erzählten. Und immer wieder war ich beeindruckt von der Großherzigkeit der Menschen mit Downsyndrom und ihrer Familien. Sie ließen mich an ihrem Leben, an ihren Freuden und Schwierigkeiten Anteil nehmen und brannten darauf, mir zu helfen. Viele von ihnen haben den Roman gelesen und fanden ihn sehr gut; das ist für mich ein großer Erfolg.
Sie verwenden in diesem Buch sehr kunstvoll die Fotografie als Metapher. Gehört Fotografie zu Ihren persönlichen Interessen, oder haben Sie sich erst für diesen Roman damit beschäftigt?
Ich bin keine Fotografin, aber in meiner Studienzeit war ich eng mit Fotografen befreundet, von denen einige tatsächlich bei sich zu Hause Dunkelkammern eingerichtet hatten. Fotografie zog sich als roter Faden durch viele unserer Gespräche, und ich begleitete meine Freunde manchmal, wenn sie bestimmte Aufnahmen machen wollten. Die technischen Aspekte interessierten mich überhaupt nicht, Verschlusszeiten und Blendeneinstellungen ließen mich kalt. Aber was mich immer faszinierte, war, wie die Bilder im Entwickler sichtbar wurden, wie die chemische Flüssigkeit das Unsichtbare ans Licht lockte. Es ist ein allmählicher Entstehungsprozess, tatsächlich wie eine Art Geburt, ein geheimnisvoller Moment. Auch die Bedeutung des Lichts fesselte mich, wie zu viel Licht ein Bild auf dem Film oder dem Papier auslöschen konnte.
|533| Ich weiß noch, wie ich mich mehr als einmal ärgerte, wenn der Wunsch meiner Freunde nach einem guten Foto eben jenen Moment störte, der eingefangen werden sollte. Die Gegenwart eines Fotografen beeinflusst immer die aufgenommene Situation. Mich interessiert, was gewonnen wird und was verloren geht, wenn das Auge der Kamera dabei ist.
In der Anfangsphase meines Romans las ich im »New Yorker« einen sehr guten Essay über den Fotografen Walker Evans, in dem diese und ähnliche Fragen besprochen wurden, und erinnerte mich wieder an meine fotografierenden Freunde. Norah schenkte David eine Kamera, und von dem Punkt an recherchierte ich ziemlich viel. Unter anderem besuchte ich das »Eastman Kodak Museum« in Rochester und las Susan Sontags faszinierendes Buch »Über Fotografie«.
»Die Tochter des Fotografen« ist letztendlich ein versöhnliches und hoffnungsvolles Buch, beschreibt aber auch die dunkleren Seiten des Lebens. Schauspieler berichten oft, dass die Arbeit an einer besonders tragischen Rolle ihr Seelenleben beeinflusst – andere können dagegen ihre Arbeit einfach zur Seite legen und ihr täglichen Leben davon frei halten. Was bedeutet es für Sie als Schriftstellerin, eine so herzzerreißende Geschichte zu schreiben – beeinflusst es Sie emotional? Oder können Sie Ihre Arbeit einfach loslassen, wenn Sie aufhören zu schreiben?
Na ja, alle Charaktere haben es tatsächlich nicht leicht. Sie müssen dunkle Zeiten durchstehen. Trotzdem habe ich es nie als schmerzhaft empfunden, dieses Buch zu schreiben. Teilweise, denke ich, liegt das daran, dass ich mich mit jedem der Charaktere identifiziert habe: mit dem, der ein Geheimnis bewahrt, und dem, dem dieses Geheimnis vorenthalten wird, mit der Mutter, die sich nach ihrem Kind sehnt, und dem Kind, das Geborgenheit und Ganzheit sucht. Ich respektierte bei allen meinen Figuren ihre Bemühungen, sich selbst zu |534| finden. Ich interessierte mich für sie und wollte wissen, was mit ihnen passierte und wer sie waren. Das konnte ich nur herausfinden, indem ich das Buch schrieb. Dass ich das Buch aus vier unterschiedlichen Perspektiven schrieb, erlaubte es mir außerdem, die Perspektive der einen Figur zu verlassen und an einer anderen zu arbeiten, wenn ich nicht vorankam. Das war sehr befreiend, ich konnte mich von einem der Charaktere ein Stück weit lösen, während ich über einen anderen schrieb.
Wer sind Ihre Lieblingsautoren, und was lesen Sie im Augenblick?
Ich lese sehr viel. Alice Munro und William Trevor sind Autoren, zu deren Werk ich immer wieder zurückkehre. Marilynne Robinsons »Gilead« habe ich gerade zu Ende gelesen und werde es noch einmal von vorn anfangen, einfach, um die Schönheit der Sprache erneut auszukosten. Von Ursula Hegi und Sue Monk Kidd liegen neue Bücher auf meinem Schreibtisch sowie Gedichte von Pablo Neruda. Während der Arbeit an der »Tochter des Fotografen« habe ich
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