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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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rothaarigen Mannes, und ihre Geste wirkte so selbstverständlich und vertraut, daß Norahs Herz brannte. »Das ist meine Schwester«, erklärte Bree. »Norah, das ist Mark.«
    Er nickte, ohne zu lächeln, und taxierte Norah, während er ihr die Hand schüttelte.
    »Sie haben die Flagge verbrannt«, stellte Norah überflüssigerweise fest. Zum zweitenmal an diesem Tag fühlte sie sich unwohl in ihrer Kleidung, die hier wie auf dem Spielplatz aus völlig unterschiedlichen Gründen fehl am Platze war.
    Marks braune Augen verengten sich leicht, als er mit den Schultern zuckte. »Sie haben in Vietnam gekämpft«, erklärte er. »Sie werden also ihre Gründe dafür haben.«
    »Mark hat in Vietnam den halben Fuß verloren.«
    Auf diese Bemerkung hin ertappte sich Norah dabei, wie sie einen kurzen Blick auf Marks Stiefel warf, die bis zu seinen Fußgelenken hoch geschnürt waren.
    »Die vordere Hälfte«, sagte er, mit dem rechten Fuß auf den Boden klopfend. »Die Zehen und noch etwas dahinter.«
    »Verstehe«, murmelte Norah, der die Situation sehr peinlich war.
    »Mark, könntest du uns eine Minute allein lassen?« fragte Bree.
    Er blickte auf die gebannte Menge. »Kaum, ich bin der nächste Redner.«
    »Okay. Bin gleich wieder da«, sagte sie hastig und zog Norah ein paar Schritte weiter, wo sie sich unter eine Gruppe von Trompetenbäumen duckten.
    »Was machst du hier?« fragte sie.
    |177| »Das weiß ich selbst nicht so genau«, antwortete Norah. »Ich mußte anhalten, als ich die vielen Menschen sah, das ist alles.«
    Bree nickte, ihre silbernen Ohrringe blitzten. »Es ist unglaublich, oder? Das müssen fünftausend Menschen sein. Wir hatten nur ein paar hundert erwartet. Das ist wegen Kent State. Das ist das Ende.«
    Das Ende wovon? überlegte Norah, während ihr Flugblätter um die Beine flatterten. Irgendwo da draußen rief Mrs. Throckmorton ihren Schülern etwas zu, und Mr. Warren saß zwischen seinen Hochglanzbildern und stellte Tickets aus. Vor ihrer Garage tänzelten Wespen in der Sonne träge auf und ab. Konnte die Welt an so einem Tag wirklich enden?
    »Ist das dein Freund?« fragte sie. »Der, von dem du mir erzählt hast?«
    Bree nickte und lächelte verschwörerisch.
    »Sieh dir das an! Du bist verliebt.«
    »Ja«, entgegnete Bree weich und warf einen Blick auf Mark. »Ich glaube, das bin ich.«
    »Ich hoffe, er behandelt dich gut«, sagte Norah und stellte entsetzt fest, daß sie mit der Stimme ihrer Mutter sprach, ja sogar deren Tonfall imitierte. Aber Bree war zu glücklich, um darauf anders als mit einem Lachen zu reagieren.
    »Er behandelt mich sehr gut«, antwortete sie. »Hey – kann ich ihn vielleicht am Wochenende mitbringen, zu deiner Party?«
    »Klar«, sagte Norah, obwohl sie überhaupt nicht sicher war.
    »Super. Norah, hast du eigentlich den Job bekommen, für den du dich beworben hattest? Hast du schon etwas gehört?«
    Die Blätter der Trompetenbäume bewegten sich wie geschmeidige grüne Herzen im Wind, und dahinter schwankte und wogte die Menge.
    »Ich weiß es noch nicht«, erwiderte Norah und dachte an das geschmackvoll eingerichtete, ordentliche Büro mit seinen |178| Reisepostern. Ihre eigenen Bemühungen kamen ihr auf einmal so belanglos vor.
    »Wie lief das Vorstellungsgespräch?« fragte Bree nachdrücklich.
    »Gut. Es ist eigentlich sehr gut gelaufen. Ich bin mir nur nicht mehr so sicher, ob ich den Job überhaupt haben will.«
    Bree strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zog die Augenbrauen hoch. »Warum nicht? Norah, gestern warst du noch ganz wild auf diesen Job. Du warst ganz aufgeregt. Es liegt an David, stimmt’s? Er will nicht, daß du arbeitest.«
    Norah schüttelte verärgert den Kopf. »Er weiß nicht mal was davon. Bree, es ist nur eine kleine Klitsche. Langweilig, spießig. Du würdest da nicht einmal arbeiten, wenn man dir ein Messer auf die Brust setzte.«
    »Ich bin nicht du«, wies Bree sie ungeduldig zurecht. »Du bist nicht ich. Du wolltest diesen Job haben, Norah. Für dich, meine Güte – und für deine Unabhängigkeit.«
    Sie hatte recht, Norah hatte diesen Job haben wollen, aber trotzdem flackerte erneut Zorn in ihr auf. Was dachte sich Bree, die hier draußen Revolutionen anzettelte, eigentlich dabei, ihr dieses Nullachtfünfzehn-Leben aufzudrängen?
    »Ich würde nur den Schreibkram erledigen, nicht reisen. Bis ich mir Reisen verdient hätte, würden Jahre vergehen. So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt.«
    »Einen Staubsauger vor sich

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