Die Tochter des Fotografen
mit dem sie die Mündung verstopfen könnte, ließ sie den Motor laufen. Unter keinen Umständen wollte sie diese emsigen Wespen, die so unbeirrbar ihr Ziel verfolgten, entkommen lassen. Die Drinks hatten sie völlig entspannt, und die Sonne strahlte warm. Sie steckte die Düse in die Erde, aber darauf reagierte der Motor des Staubsaugers mit einem verzerrten Geräusch. Da fiel ihr der Auspuff des Autos ins Auge: Ja, das Staubsaugerrohr würde perfekt darüber passen. Mit großer Befriedigung und völlig erschöpft von ihrem Werk, schaltete Norah den Staubsauger aus und ging ins Haus.
Vor dem Waschbecken im Bad nahm sie Schal und Hut ab und studierte ihr Gesicht im Spiegel. Sonne fiel durch die Milchglasscheiben der Fenster. Dunkelgrüne Augen, kurzes blondes Haar und ein Gesicht, das von Sorgen ausgezehrt war, schienen ihr entgegen. Ihr Haar klebte am Kopf, ihre Haut glänzte vor Schweiß, und auf ihrer Wange prangte ein zornig roter Hieb. Während sie überlegte, was David wohl in ihr sah, wenn er sie betrachtete, biß sie sich leicht auf die Lippe. Schließlich fragte sie sich selbst, wer sie eigentlich war. Mal versuchte sie sich Kay Marshall anzupassen und im nächsten Moment Brees Freunden. Nirgendwo richtig zu Hause, raste sie wie eine Wahnsinnige an den Fluß. Welche Seiten ihrer Persönlichkeit nahm David wohl wahr? Oder war es eine völlig andere Frau, die jede Nacht an seiner Seite |184| schlief? Diese Frau war zwar sie selbst, aber sie war sich selbst fremd. Längst war sie nicht mehr die Frau, die David geheiratet hatte, und auch sie sah in ihm nicht mehr den Mann, dem sie das Jawort gegeben hatte, wenn er nach Hause kam, sein Jackett sorgfältig über einen Stuhl hängte und die Abendzeitung aufschlug. Sie trocknete ihre Hände ab und ging Eis holen, um ihre geschwollene Wange zu kühlen. Das Wespennest hing leer und zerfleddert vom Garagensims. Der Elektrolux saß geduckt in der Einfahrt. Sein langer gefaltelter Metallschlauch verband ihn mit dem Auspuff des Autos, eine silberne Nabelschnur, die in der Sonne glänzte. Sie stellte sich vor, wie David nach Hause in einen geschmückten Garten kam, zu einer bis ins letzte Detail durchgeplanten, perfekt vorbereiteten Party, und bemerkte, daß das Wespennest verschwunden war. Er wäre überrascht und erfreut, hoffte sie.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß es Zeit war, Paul abzuholen. Auf der Hintertreppe hielt sie kurz inne, um in ihrer Handtasche nach den Hausschlüsseln zu kramen. Da weckte ein seltsames Geräusch ihre Aufmerksamkeit. Es war eine Art Summen, und zuerst dachte sie, daß es den Wespen gelungen war zu entkommen. Aber in der blauen Luft bewegte sich nichts. Das Summen wurde zu einem Zischen, und es roch nach durchgeschmorten Kabeln und verbrannten Reifen. Die Quelle all dessen war, wie Norah mit langsamem Erstaunen begriff, der Elektrolux. Sie hastete die Stufen hinunter. Gerade als sie nach dem Staubsauger greifen wollte, explodierte er. Er sprang aus ihrer Reichweite, raste über die Rasenfläche und traf den Zaun mit solcher Wucht, daß eine Latte zerbarst. Die blaue Maschine fiel mitten in die Rhododendren und stieß Schwaden öligen Rauches und ein Heulen wie von einem verletzten Tier aus.
Norah blieb mit ausgestreckter Hand mitten in der Bewegung stehen, als wäre sie eines von Davids Fotomotiven. Als sie bemerkte, daß vom Auto ein Stück des Auspuffs abgerissen |185| worden war, wurde ihr das Geschehen klar: die Benzindämpfe mußten sich im heißen Staubsaugermotor gesammelt und die Explosion ausgelöst haben. Norah dachte an Pauls glockenklare Stimme und daß er allergisch auf Bienen reagierte. Wäre er zu Hause gewesen, hätte ihn der Staubsauger treffen können.
Eine Wespe trudelte aus dem rauchenden Auspuff und flog davon.
Dieser Anblick war zuviel für Norah. Den ganzen Vormittag hatte sie hart an der Vernichtung der Insekten gearbeitet, und trotz ihres Einfallsreichtums würden die Wespen entkommen. Sie überquerte den Rasen. Ohne zu zögern, öffnete sie den Elektrolux und griff in den hervorquellenden Rauch, um den Papierbeutel voller Staub und Insekten herauszuziehen. Sie warf ihn auf den Boden und begann in rasendem Tanz darauf herumzustampfen. Der Staubsaugerbeutel platzte an einer Seite auf, und Wespen glitten heraus – ihr Fuß zermalmte sie. »Du hast Angst vor dem Leben«, hatte Bree zu ihr gesagt. »Warum bist du nicht einfach du selbst und wartest ab, wie sich die Dinge entwickeln?« Aber wer war sie? Norah
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