Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
gehörte, die Gelegenheit, den obersten Ränkeschmied und seinen Sohn bei ihrer Arbeit zu belauschen? In einer einzigen Stunde mit Vater und Sohn erfuhr ich mehr über Strategie und Taktik, als ich in langjährigen Studien irgendwo hätte lernen können.
Da ich als Giftkundige zur Verschwiegenheit verpflichtet bin, werdet Ihr verstehen, wenn ich nicht alles wiedergebe, was ich in dieser Nacht erfuhr. Es muss genügen, wenn ich sage, dass der Kardinal besser als jeder andere über die unendliche Gier und die Käuflichkeit seiner Kardinalskollegen Bescheid wusste. Er kannte jeden Einzelnen und war über alle Umstände bestens informiert – vermutlich besser als die Kardinäle selbst. Was begehrten sie am meisten? Wovor fürchteten sie sich? Welche geheimen Gelüste oder Wünsche hegten sie? Viele Jahrzehnte fleißiger und gründlicher
Arbeit hatten Borgia bestens für den großen Augenblick gerüstet, in dem ihm der Thron des heiligen Petrus zufallen würde.
Falls Gott kalte Zielstrebigkeit und Scharfsinn schätzte, so stand Rodrigo Borgia sicher an erster Stelle.
Nach ungefähr einer Stunde, während der Vater und Sohn ihr Wissen austauschten und mit Hilfe mehrerer Karaffen Wein die zukünftige Strategie entwarfen, sah Cesare zu mir herüber. »Francesca schläft beinahe.«
Ich protestierte sofort energisch, doch meine Stimme klang etwas undeutlich. Und tatsächlich war ich ein- oder zweimal eingenickt.
»Bring sie ins Bett«, schlug Borgia vor.
Cesare schien kurz darüber nachzudenken. Er nahm meine Hand und hob sie an seine Lippen. Ich spürte seinen warmen Atem, sah den verführerischen Blick. Die Zeit schien stillzustehen, und eine Sekunde lang war ich in großer Versuchung. Wenn nicht das Leben eines Kindes und die Zukunft des Christentums auf dem Spiel gestanden hätten …
Ich entzog ihm meine Hand und entlockte ihm einen Seufzer. Wie eine Welle, die an die Küste brandet, dachte ich. Alle meine Sinne waren geschärft.
Die Luft war stickig und mit dem Duft von Kerzen und Wein gesättigt – und doch hätte ich schwören können, dass ich mit einem Mal Kupfer roch und meine Zunge Blut schmeckte. Das riss mich aus meiner Schläfrigkeit.
»Morozzi wird nicht nachlassen«, hörte ich mich wie aus weiter Ferne sagen. »Wir müssen ihn finden, bevor er handeln kann.«
»Falls die Engel mit uns sind, wird er an der Beisetzung teilnehmen«, sagte Borgia.
In diesem Moment erinnerte ich mich, dass die Beisetzung des verstorbenen Papstes für den kommenden Tag angesetzt war. Natürlich würden alle Kardinäle, die sich bereits in Rom befanden, und unendlich viele wichtige Kirchenleute und Laien an der Trauerfeier teilnehmen, bei der Borgia in seiner Eigenschaft als Vizekanzler der Kurie eine bedeutende Rolle spielte. Ich hegte allerdings keine großen Hoffnungen, dass Morozzi so dumm sein würde, sich vor dieser Versammlung zu präsentieren.
Wohin sonst konnte er gehen? In die Engelsburg nicht, seit er seinen Beschützer verloren hatte. Doch wie stand es mit dem Kapitelhaus? Oder mit della Rovere, auch wenn Borgia das nicht glaubte? Wo hatte er sich nur verkrochen, wo ihn die Spione des Kardinals bisher noch nicht aufgespürt hatten?
Rom ist ein unendliches Labyrinth von Gassen und Straßen, wo ständig alte Gebäude niedergerissen werden, neue Gebäude entstehen und überall und immer ein chaotisches Durcheinander herrscht. Und Rom ist eine antike Stadt, die in mehreren tausend Jahren triumphale und katastrophale Zeiten erlebt hat. Wie unter Borgias Palazzo so finden sich überall unter der Erde Überreste früherer Städte, sodass man unweigerlich auf Zeugen der glorreichen Geschichte trifft, wo auch immer man den Spaten in die Erde stößt.
Doch in erster Linie ist Rom eine Stadt der Geheimnisse, was die unendliche Klatschsucht der Römer nur noch befördert. Ein großer Teil der Stadt liegt hinter hohen Mauern verborgen, hinter prächtig vergitterten Zufahrten oder ist
nur durch schmale Durchgänge zu erreichen, die durch unscheinbare Häuser führen – der ideale Ort für jemanden, der nicht gefunden werden will.
Wohin würde ich an Morozzis Stelle gehen?
Sobald mir dieser Gedanke in den Kopf kam, schob ich ihn auch schon beiseite. Ich war nicht Morozzi, weiß Gott nicht. Er war wahnsinnig, und ich war …
Es roch immer stärker nach Blut, dass ich mich umsah, als ob ich erwartete, jemand neben mir würde verbluten. Aber ich sah nur die Bilder meiner Erinnerung …
Giulia, die sich auf ihrem
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