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Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison

Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison

Titel: Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Poole
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trotz seines Alters war Vittoro schneller. Wie der Blitz schoss seine Hand nach vorn und packte den schmuddeligen Kleinen am Kragen.
    »Nicht so eilig, mein Kleiner!« Vittoro schüttelte das ausgemergelte Kerlchen, dessen Beinchen ungefähr einen Fuß breit über dem Boden zappelten. »Was hast du dir nur dabei gedacht?«
    Es war nicht zu fassen, aber der Junge machte gar nicht erst den Versuch, um Gnade zu betteln. Er schien sechs oder sieben zu sein, aber vermutlich war er älter. Er trat wie ein Verrückter um sich, suchte zu treffen, was immer er fand, und schrie aus Leibeskräften:
    » Bastardo! Lasst mich auf der Stelle los! Lasst mich los!«
    Vittoro hob seine andere Hand, um den Jungen zu schlagen, aber ich packte seinen Arm.
    »Besser nicht«, raunte ich ihm zu und nickte in Richtung der Menge, die sich bereits um uns versammelt hatte.
    Der Hauptmann folgte meinem Blick. Bisher hatte keiner der Juden eine drohende Haltung eingenommen oder versucht, den Jungen zu befreien. Aber die riesige Menge
umringte uns von allen Seiten. Fürs Erste beobachteten uns die Leute, doch was würden sie tun, wenn der Junge festgenommen würde?
    »Im Moment wäre das wenig hilfreich«, sagte ich leise.
    Vittoro nickte. Dann stellte er den Jungen auf den Boden, hielt ihn aber weiter am Arm fest.
    »Wie heißt du?«, fragte er.
    Die einzige Antwort war ein Batzen Spucke, der zielsicher vor Vittoros Stiefelspitze landete.
    Seufzend schüttelte Vittoro den Kopf.
    »Warum tust du das? Ich habe dir nur eine anständige Frage gestellt.« Er sah auf den Jungen hinunter. Der Kleine runzelte trotzig die Stirn, weil sich die Sache offenbar nicht nach seinen Vorstellungen entwickelte. »Womöglich weißt du ja gar nicht, wie du heißt, oder du kennst deinen Vater nicht.«
    »Ich bin kein Bastard!«, fauchte der Kleine. »Ihr dagegen schon.«
    »Ich ganz bestimmt nicht«, erwiderte Vittoro geduldig. »Ich heiße Vittoro Romano, und diese Dame heißt Francesca Giordano. Und wie heißt du?«
    »Benjamin Albanesi«, antwortete der Junge widerstrebend.
    »Gut«, sagte Vittoro. »Dann lasse ich dich jetzt los, Benjamin Albanesi. Danach hast du genau zwei Möglichkeiten: Du kannst feige sein und davonlaufen. Oder du bleibst hier und zeigst uns den Weg. Und verdienst dir lieber eine Silbermünze, statt sie zu stehlen.«
    Misstrauisch sah Benjamin zu Vittoro auf.
    »Lasst mich die Münze zuerst sehen.«
    Mit einem weiteren Seufzer tat Vittoro, worum der Junge
gebeten hatte. Der kleine Taschendieb beäugte die Münze genau. Dann streckte er die Hand aus. Er wog das Geldstück sorgfältig und nickte schließlich.
    » Bene . Ich helfe Euch.«
    Offenbar waren die Leute mit dem Ergebnis der Verhandlung zufrieden und zerstreuten sich. Vittoro ließ den Jungen los, der brav stehenblieb und zu uns aufsah.
    »Was genau sucht Ihr?«, fragte er.
    Ich zog das Papier aus der Tasche, das mir der Kardinal zugeschoben hatte, und hielt es dem Jungen hin. Ich war darauf gefasst, ihm alles vorlesen zu müssen, aber wieder überraschte mich der Junge. Er warf nur einen kurzen Blick auf das Papier und nickte.
    »Ich weiß, wo das ist. Folgt mir.«
    Wir gingen eine belebte Straße entlang, bogen irgendwann um eine Ecke in eine enge Gasse ein, die wiederum in eine Straße mündete. Weiter und weiter drangen wir in das Labyrinth des Ghettos vor, bis ich mich fragte, ob wir nicht im Kreis gingen. Unterwegs sahen wir auch Straßen, die von der Flut und den Menschenmassen unberührt waren. Hinter hohen Mauern, die nichts von dem verrieten, was sich hinter ihnen verbarg, lebten jüdische Kaufleute, die von England bis zu den weit entfernten Gebieten Russlands und in den Souks von Marokko und Konstantinopel ihren Geschäften nachgingen. Wenn man den Gerüchten glaubte, so lebten sie in verschwenderischem Luxus. Dennoch war ihre Lage nicht besser als die ihrer Glaubensgenossen, weil auch sie nicht außerhalb des Ghettos leben durften. Um diese Freiheit zu gewinnen, gab es nur einen einzigen Weg: Die Juden mussten ihrem Glauben abschwören. Einige waren diesen
Weg gegangen, aber selbst für sie war das Leben nicht ohne Gefahr. Die conversi waren immer die Ersten, die man der Häresie anklagte, und auch die Ersten, die man verbrannte.
    Zu guter Letzt erreichten wir eine Straße, die in gleißendem Sonnenlicht lag. Eine lange Menschenschlange stand vor einem Laden an, in dem sich offenbar eine Apotheke befand. Einige Menschen trugen kranke Kinder auf dem Arm, und andere stützten

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