Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
…«
»Gerade heute Morgen hörte ich, dass es ihm besser gehe.«
Borgia runzelte die Stirn, doch ich wusste nicht, ob wegen des Gesagten oder weil ich ihn unterbrochen hatte.
»Nichts als billiges Marktgerede. Giovanni ist neunundfünfzig, und er erfreute sich noch nie einer guten Gesundheit. «
Ich sparte mir die Bemerkung, dass Borgia selbst zwei Jahre älter war als der angeblich sterbende Papst. Die beiden Männer zu vergleichen, war schlicht unmöglich. Borgia war ein Bulle von Mann und voller Lebenskraft, während Giovanni Battista Cibo, wie der Papst hieß, bevor er den Thron von Sankt Peter bestieg, seiner eigenen Maßlosigkeit zu erliegen schien. Er war Vater von mindestens einem Dutzend Kindern, ein Freund der Hohen Pforte, der gleichzeitig im Sold des Sultans stand, und er befleißigte sich der Simonie, indem er päpstliche Ämter verkaufte, um seine ständig schrumpfende Börse aufzufüllen. Angeblich fürchtete er den Tod und die folgende Abrechnung so sehr, dass er sich auf die schlimmsten Taten einließ, um beidem so lange als möglich aus dem Weg zu gehen.
»In unruhigen Zeiten wie diesen«, fuhr der Kardinal fort, »ist erhöhte Wachsamkeit vonnöten. Kann ich darauf vertrauen, dass Ihr dafür sorgt?«
Ich nickte mit ernster Miene.
»Aber selbstverständlich, Eure Eminenz. Ihr könnt mir in allem vertrauen.«
Borgia schien nicht völlig überzeugt zu sein. Doch fürs Erste tat er so, als ob er mir glaubte.
»Gut. Dann berichtet mir jetzt, woran Euer Vater kurz vor seinem Tod gearbeitet hat.«
Meine Antwort musste sorgfältig bedacht sein. Mein Unwissen zu bekennen, konnte ich mir nicht leisten, aber das Gegenteil war genauso unmöglich. Beides würde mir nicht Borgias Vertrauen sichern.
»Er hat sich mit verschiedenen alchemistischen Fragen beschäftigt«, begann ich. »Vielleicht könntet Ihr mir sagen, was Euch besonders interessiert?«
Die Taktik erwies sich als wenig erfolgreich. Der Kardinal lehnte sich zurück und sah mir gerade ins Gesicht.
»Er hat Euch also nicht ins Vertrauen gezogen. Und doch habt Ihr eng mit ihm zusammengearbeitet, nicht wahr?«
»Ich … ich habe meinem Vater oft geholfen, ja.«
Borgias Blick machte mich nachdenklich. Wusste er mehr über mich, als er mir sagte? So, wie ich ihn in den letzten zehn Jahren beobachtet hatte, konnte er seinerseits die Tochter seines Giftkundigen im Auge behalten und verfolgt haben, wie sich die dunklen Mächte ihres Charakters unwiderstehlich vom Handwerk ihres Vaters angezogen fühlten. Ich hätte zwar gedacht, dass Borgia kein Interesse an mir hatte, doch es war immerhin möglich, dass ich mich irrte.
»Hat Euer Vater denn keine Aufzeichnungen hinterlassen? «, fragte der Kardinal.
Ich schluckte, um meine trockene Kehle anzufeuchten, und begegnete unerschrocken seinem Blick.
»Doch, aber sie endeten bereits vor Monaten. Von seinen letzten Arbeiten gibt es keine Eintragungen.«
»Wundert Euch das?«
Zum ersten Mal konnte ich wahrheitsgemäß antworten.
»Ja, das wundert mich wirklich. Mein Vater war immer der Meinung, dass Forschungen und Experimente allein
wertlos sind. Nur mit Hilfe guter Aufzeichnungen kann man später aus den Ergebnissen die richtigen Schlüsse ziehen. «
»Das klingt vernünftig. Also hat Euer Vater vermutlich auch Aufzeichnungen hinterlassen – nur sind sie eben nicht in Eurem Besitz.«
Das wiederum bezweifelte ich. Die Arbeitsweise meines Vaters, die ich von ihm übernommen habe, machte es schwer, Freundschaften zu schließen, geschweige denn Menschen zu finden, denen man vertrauen konnte. Wenn mein Vater nicht einmal seiner Tochter offenbarte, woran er arbeitete, würde er sich erst recht keinem anderen anvertrauen.
»Es ist wichtig, dass diese Aufzeichnungen gefunden werden«, erklärte der Kardinal. Wieder suchte er meinen Blick. »Ich erwarte, dass Ihr sie unverzüglich herbeischafft.«
»Ich werde mein Bestes tun, Eure Eminenz. Aber solange ich nicht weiß, welche Fragen genau mein Vater verfolgt hat, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob er überhaupt Aufzeichnungen gemacht und noch weniger, wo er sie aufbewahrt hat.«
Ich ging davon aus, dass Borgia wusste, woran mein Vater gearbeitet hatte, und erwartete, dass er es mir sagte. Doch er schob lediglich ein gefaltetes Papier zu mir herüber. Ich öffnete es und las den Namen S. Montefiore und eine Adresse im Quarto Ebreo – im jüdischen Viertel. Borgias Interesse an ausgerechnet dieser Gegend überraschte mich. Eigentlich hätte
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