Die Tochter des Kardinals
Sixtus zog den Kopf zurück. »Bringt die Sedia«, befahl er Gazetti, wobei er ihn strafend ansah.
Gazetti verließ die Kutsche, um die Sedia anzufordern.
Giulia betrachtete den Papst mit einer Mischung aus Belustigung und Rührseligkeit. »Ihr müsst sehr glücklich sein an diesem Tage, Euer Heiligkeit«, sagte sie.
Die Augen des Heiligen Vaters strahlten. »Das sind Wir«, bekräftigte er. »Hilf Uns aus der Kutsche, mein Kind.«
Giulia stieg aus. Sie streckte eine Hand aus, und der Heilige Vater ergriff sie. Er nahm die beiden ausklappbaren Stufen in einem Satz und betrat den Boden, der ihm Kindheit und Heimat bedeutete.
Im Laufschritt eilten die Sediari mit der Sänfte auf ihren Schultern herbei. Sie ließen den Thron auf den gelbsandigen Boden ab. Aufrecht, mit erhabenen Schritten, bestieg der Papst die Sedia und setzte sich.
Da erklang eine Stimme von der päpstlichen Kutsche her. »Euer Heiligkeit«, rief jemand.
Giulia und Gazetti wandten sich gleichzeitig um. Da stand einer der Diener mit der päpstlichen Tiara und dem Pallium in den Händen.
Der Diener trat näher und kniete mit gesenktem Haupt nieder. »Ihr habt dies vergessen, Euer Heiligkeit«, sagte er.
Gazetti nahm die Insignien entgegen. Er legte dem Papst das Pallium um die Schultern und reichte ihm die Krone, die der Papst sich selbst auf das Haupt setzte.
»Du scheinst Uns ein recht aufmerksamer Bursche zu sein«, sagte der Papst von seinem Thron aus. »Wie lautet dein Name?«
»Lino, Euer Heiligkeit«, sagte der Diener. »Lino Leopolo.«
Sixtus nickte wohlwollend. »Begleite Uns, während wir in die Stadt einziehen, Lino Leopolo. Wir schulden dir Dank.«
Lino, dessen wahrer Name Anatol lautete, verneigte sich tief.
Giulia betrachtete das Gesicht des Dieners. Es sah aus wie eine Mischung aus Wolfshund und Echse. Die Augen kalt, der Körper unter steter Anspannung, als erwarte er jeden Moment einen Angriff, die Bewegungen mal linkisch, mal geschmeidig. Sie mochte ihn nicht. Und er machte ihr Angst.
Auf ein Zeichen des Papstes hoben die Sediari die Sänfte an. Geller, der den Aufbruch beobachtet hatte, gab das Kommando zum Weiterziehen. Angeführt vom Capitano, betraten die ersten Gardisten das Dorf, um für die Sicherheit des Heiligen Vaters Sorge zu tragen.
Mittlerweile waren alle Männer, Frauen, Kinder und Hunde in Grottammare auf den Beinen. Sie kamen aus den Hütten, von den Stränden und Weiden herbeigelaufen und säumten die langen schmalen Gassen und die breite Straße, die durch das Dorf auf den Kirchplatz führte. Irgendwo schrien Säuglinge nach der Brust ihrer Mütter, ansonsten herrschte Grabesstille. Hunderte stumme Augen hefteten sich auf den Papst und sein Gefolge, das durch ihr Dorf zog wie eine unwirkliche, geisterhafte Erscheinung.
Der Heilige Vater schien sich nicht im Geringsten daran zu stören, dass der Jubel ausblieb, der ihm gewöhnlich beim Einzug in einer Stadt entgegenbrandete. Er schwebte über den Köpfen der Umstehenden in den Ort seiner Geburt ein, blickte verzückt über die Häuser, als suche er nach Altbekanntem.
Zwei Männer schritten der Sedia von der Kirche her entgegen. Der eine ein Pfaffe mit beschmutzter Soutane, der andere vermutlich der Bürgermeister von Grottammare. Der rundliche Pfaffe hielt die Hände gefaltet; der kleine, schlaksige Bürgermeister breitete die Arme weit aus. Vor den Männern hielten die Sediari inne und ließen die Sänfte langsam und vorsichtig auf den Boden gleiten. Gestützt von Giulia, unter den Augen von Gazetti und Geller, entstieg Sixtus der Sedia. Die umstehenden Diener fächelten ihm mit den langen Flabelli kühle Luft zu. Der Papst reichte dem Diener Lino das goldene Kreuz, das dieser sogleich davontrug.
Der Bürgermeister und der Priester knieten vor Sixtus nieder. »Euer Heiligkeit«, sagte der Bürgermeister, »mein Name ist Silvano Nardi. Ich bin der Bürgermeister dieses Eures Geburtsortes. Hätten wir doch nur von Eurer Ankunft erfahren, wir hätten Euch einen Empfang bereitet, der Eurer würdig wäre.«
»Ich bin Reverendo Toldo, Euer Heiligkeit«, sagte der Priester. »Eure Gegenwart ist eine unsagbare Ehre für uns.«
Der Papst bedeutete Nardi und Toldo, sich zu erheben. »Habt Dank«, sagte er. »Wir sind den weiten Weg aus Rom gekommen, um den Ort Unserer Geburt zu besuchen. Das Blut der Mark Ancona, das durch Unsere Adern und Unser Herz fließt, ist das Eure. Unsere Lungen lechzten in der Ferne danach, noch einmal die Luft der Adria zu atmen,
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