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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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jedem Gesicht glaubte ich die Sünde meines Vaters zu erkennen. So folterte und tötete ich sie, um mein Leid und das Leid der Welt zu mindern. Einer Frau ließ ich bei lebendigem Leibe das ungeborene Kind aus den Eingeweiden schneiden, einen Mann ließ ich an den Füßen aufhängen und aus vielen kleinen Wunden ausbluten wie ein Schwein.« Er vergrub sein Gesicht in den Händen. »Doch jeder Tote schürte den Hass auf die Unvollkommenen noch mehr. Und so verfolgte, quälte und verbrannte ich sie alle, bis jegliches menschliche Gefühl in mir endlich erstarb.«
    Erschüttert legte Giulia eine Hand auf seinen Arm. Der Heilige Vater schwieg nun, und so suchte sie nach Worten, die ihm helfen könnten. »Aber Ihr habt als Papst so viel Gutes bewirkt, Euer Heiligkeit«, sagte sie. »Ihr habt das Banditenwesen eingedämmt, die Landwirtschaft gefördert und die Brotpreise niedrig gehalten, auf dass auch die Armen sich ernähren konnten. Sogar den Juden gabt Ihr die Rechte wieder, die Eure Vorgänger ihnen entzogen haben. Die Menschen lieben Euch.«
    »Die Katholiken lieben mich – vielleicht«, sagte der Papst, »aber die Protestanten hassen mich. Als Stellvertreter des Teufels bezeichnen sie mich, und Rom nennen sie die Hölle. Mein Kind, ein Krieg kommt auf uns zu. Nicht heute und nicht morgen, aber er wird kommen. Es wird ein langer, verlustreicher Krieg werden, in dem Christ gegen Christ kämpft. Und ich habe nicht genug getan, den Protestanten den wahren Glauben zurückzugeben, um diesen Krieg zu verhindern. Unzählige Menschenleben werden mein Vermächtnis an die Welt sein.«
    »Was geschehen ist, Euer Heiligkeit, kann niemand mehr ungeschehen machen«, sagte sie, wobei sie jede einzelne Silbe betonte. »Gott hat Eure Pein gesehen, Eure Verzweiflung, Eure Sehnsucht, Liebe zu geben und zu finden. Schließlich hat er Euch auf den Heiligen Stuhl gehoben, damit Ihr und mit Euch die ganze Welt Hoffnung und Liebe findet.«
    Der Heilige Vater tätschelte die Hand auf seinem Arm. Ein leichter Glanz kehrte in seine Augen zurück. Er lächelte schwach. »Ich bin hierher zurückgekommen, um das unschuldige Kind zu finden, das ich einst war. Aber gefunden habe ich nur dunkle Schatten. Doch du hast mir Freude und Zuversicht geschenkt, mein Kind. Dafür schulde ich dir Dank bis ans Ende meines Lebens. Wann immer du einen Wunsch hast, sage ihn mir, und er geht in Erfüllung. Das verspreche ich dir hier im Angesicht des Herrn.« Er sah zum Kreuz hinauf.
    Jetzt lächelte auch Giulia. »Mein größter Wunsch ist es, Euch zu dienen, Euer Heiligkeit. Sagt, fühlt Ihr Euch stark genug, die Kirche wieder zu verlassen? Dunkelheit und Feuchtigkeit tun Euch gewiss nicht gut.«
    Er nickte und stand auf. Giulia stützte ihn am Arm, und so traten sie aus der Kirche.
    Die gleißende Sonne blendete. Kaum waren sie die Stufen hinabgeschritten, stürzten sich Nardi und Toldo auf den Heiligen Vater und bestürmten ihn mit Lobpreisungen und Bitten. Giulia warf Geller einen Blick zu. Der verstand und schirmte den Papst mit vier Gardisten ab, bis Giulia ihn zurück zur Sedia geführt hatte. Sie trat zurück, während der Papst auf dem gepolsterten Stuhl Platz nahm. Die Sediari hoben die Sänfte an. Der Tross geriet in Bewegung, verließ das Dorf und bezog auf einer großen Weide Quartier.

24
    Z UR SELBEN S TUNDE AUF EINEM A NWESEN IN F RASCATI ,
SÜDÖSTLICH VON R OM GELEGEN
    Es war ein ungewöhnlich heißer Tag. Die schöne Contessa Marisa Mattei beschloss, den in der Mitte gelegenen Palazzo zu verlassen, um durch die ausgedehnten Gartenanlagen ihres Besitztums zu streifen. Der würzige Duft von Akazien, Olivenbäumen und Pinien, das lieblich süße Aroma der Lilien, Hyazinthen und der kräftige, dumpfe Geruch der Margeriten hüllten sie ein. Besonders stolz war die Contessa auf die Sonnenblumen, deren Samen Seefahrer aus der Neuen Welt mitgebracht hatten. Der Gärtner hatte die Samen um den großen Brunnen inmitten des Gartens gesät, und so ragte der Wasser speiende Löwenkopf auf dem Brunnen um Haupteslänge über die strahlend gelben Blüten, als würde er in der Savanne auf Opfer lauern.
    Die Contessa schlenderte über den breiten Weg, vorbei an Böschungen, Wiesen und kleinen Seen. Um sie herum summten und surrten Bienen, Hummeln und Schmetterlinge. Der Schirm aus weißem Seidenstoff spendete ihr Schatten.
    Marisa ließ sich gerade auf einer Bank aus grauem Marmor nieder, als sie auf einem kleinen Hügel eine Bewegung in Richtung des Palazzos

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