Die Tochter des Kardinals
gefahren . Giulias Verdacht bestätigte sich. Es waren Protestanten, die hier von der aufgebrachten Meute gerichtet wurden.
Ein Mann trat ihr entgegen. Er trug die einfachen erdfarbenen Kleider eines Bauern. »Warum haltet Ihr uns auf?«, fragte er. »Ihr, ein ehrwürdiges Mitglied der einzig wahren Kirche.«
»Es ist Unrecht, was hier geschieht!«, stieß Giulia hervor.
Der Bauer zog die Augenbrauen hoch. »Unrecht, Schwester?«, fragte er. »Seine Heiligkeit Papst Sixtus V. höchstselbst hat jedem Katholiken das Recht gegeben, die verdammten Lutherböcke zu richten. Wann, wo und wie auch immer.«
Hilfesuchend blickte Giulia zu Geller hoch, der in diesem Augenblick neben ihr auftauchte. »Er hat recht, Schwester«, sagte Geller, und tiefes Bedauern schwang in seiner Stimme mit. »Wir können nichts dagegen tun.«
Giulia wandte sich wieder dem Bauern zu. »Wenn der Heilige Vater euch das Recht gab«, sagte sie, »dann vermag er es euch auch wieder zu nehmen!« Sie machte auf der Stelle kehrt und lief an Gazetti vorbei zurück zur päpstlichen Kutsche.
»Was ist nur mit dir, mein Kind?«, fragte der Heilige Vater, als Giulia ihr gerötetes, verschwitztes Gesicht durch die Kutschentür steckte.
»Euer Heiligkeit«, sagte sie schnell. »Dort auf dem Hügel sollen unschuldige Menschen gerichtet werden. Ihr müsst diesem Treiben Einhalt gebieten. Ich bitte Euch!« Sie faltete die Hände und starrte den Papst flehend an.
»Hm«, machte dieser. »Wer sind diese Menschen, die man hängen will?«
»Protestanten«, sagte Giulia. »Doch haben sie niemandem ein Leid zugefügt.«
»Protestanten?«, echote der Papst. Sein Blick verfinsterte sich. »Dann erfordert es ihr frevlerischer Glaube, dass sie unverzüglich sterben.«
»Euer Heiligkeit«, beschwor Giulia den Heiligen Vater, »es sind Christen wie wir. Sie glauben an dieselben Worte in der Heiligen Schrift, glauben an die Erlösung durch Jesus Christus, glauben an …«
»Schweig!«, herrschte der Papst sie an. »Wir rühren keinen Finger, um das Leben dieser Ketzer zu retten! Sie verdienen den Tod, so wie die Mörder Christi Tod und ewig währendes Höllenfeuer verdienten.«
Giulia fiel vor der Kutsche auf die Knie und weinte. Gazetti kam hinzu, half ihr auf und schob sie in die Kutsche.
Der Tross setzte sich wieder in Bewegung, und Giulia schaute durch tränennasse Augen hinaus. Auf dem Hügel wurden gerade die Kisten unter den Füßen der Lutheraner weggestoßen. Die Stricke spannten sich, die Delinquenten strampelten mit den Beinen in der Luft. Den Tod der armen Männer sah sie nicht mehr. Die Kutsche folgte der Biegung des Weges in einen Wald hinein.
Als am Abend die Sonne hinter den Kuppen der Berge zu versinken begann, erreichten sie das am Rande eines Hanges stehende Kloster Velino. Während der ganzen Fahrt dorthin hatte der Papst Giulia keines Blickes oder gar Wortes gewürdigt. Allein Gazetti hatte ihr hin und wieder ein aufmunterndes Lächeln gezeigt. Giulia war froh, dass sie der Enge der Kutsche und der bedrückenden Nähe des Heiligen Vaters entfliehen konnte.
Mönche strömten aus dem Kloster. Der Abt nahm den Papst unterwürfig und voll strahlender Freude in Empfang. Danach begrüßte er Gazetti, die Kardinäle und die Bischöfe. Gemeinsam betraten sie das Kloster. Mit dumpfem Grollen schlossen sich die schweren, eisenbeschlagenen Tore hinter ihnen.
Als Frau war es Giulia verboten, das Kloster zu betreten. So beobachtete sie, wie eifrige Diener ihr ein Zelt auf dem kargen, steinigen Untergrund unweit des Klosters und neben den Zelten der Garde und Dienerschaft aufbauten. Sie verspürte keine Müdigkeit. Kurz vor dem Kloster hatte sie einen kleinen Bergsee entdeckt. Dorthin wollte sie gehen, um Kontemplation zu suchen.
Auf dem Wasser des Sees spiegelten sich im Westen die letzten dunkelroten Strahlen der Sonne und im Osten das silberne Licht des Mondes. Der Nordwind pustete mit sanfter Kraft kleine Wellen an den Rand des Sees. Im angrenzenden Wald erklangen die Rufe von Eulen und das wütende Zetern von Raben in den Baumwipfeln.
Giulia ließ sich auf einem weißen Felsen nieder, der die Form eines Eis hatte. Sie blickte über den See und fühlte im gleichen Augenblick die Ruhe des Wassers in Geist, Körper und Seele strömen.
Plötzlich hörte sie ein Knacken hinter sich. Sie fuhr herum. »Wer da?«, fragte sie in die Dunkelheit.
»Ein Freund«, kam die Antwort. Es war Gellers Stimme. Er trat neben den Felsen, auf dem Giulia saß, und
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