Die Tochter des Kardinals
Worten und Taten gefehlt habe. Manchmal habe ich mich leiten lassen von Stolz und Hass, vom Willen, andere zu beherrschen, von der Feindschaft gegenüber den Anhängern anderer Überzeugungen, die schwächer waren als ich. Vom Heiligen Geist bewegt, kehre ich mit reumütigem Herzen zu Dir zurück. Schenke mir Dein Erbarmen und die Vergebung meiner Sünden. Darum bitte ich durch Christus unseren Herrn.« Er sank tränenüberströmt auf die Knie und faltete die Hände.
»Euer Heiligkeit!«, rief Giulia und stürzte zu ihm, um ihm wieder auf die Bank zu helfen.
Der Papst weinte noch immer. Nur langsam kehrten Ruhe und Verstand in ihn zurück. Zuweilen schluchzte er noch, schniefte und seufzte – dann starrte er nur still vor sich hin. »Mein liebes Kind«, hauchte er nach einer Weile, »mein Herz ist unsagbar schwer an diesem Ort. Wohl habe ich hier einst schöne Tage erlebt, doch dann gab es wieder Tage, die waren die Hölle.«
Erst in diesem Moment erkannte Giulia, dass er plötzlich von sich in der ersten Person sprach. Dieser Ort musste eine ungeheuerliche Veränderung im Heiligen Vater bewirkt haben. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und blieb still.
»Meine Mutter war eine kluge und starke Frau mit einem Herzen aus reinem Gold«, sagte der Heilige Vater. »In harten Zeiten verzichtete sie auf Brot und Käse, um mich und meine drei älteren Geschwister satt zu machen. Mein Vater, sein Name war Piergentile, arbeitete schwer an jedem Tag, den Gott werden ließ. Dann starb mein Bruder, ein Jahr später meine geliebte Schwester. Die Welt um uns herum wurde düster. Um des Schmerzes Herr zu werden, verprasste mein Vater das wenige Geld, das wir hatten, in der Taverne. Oft kam er betrunken heim, rief meine Schwester Camilla und mich mit den Namen der toten Geschwister, schlug uns und unsere Mutter. Er quälte die Tiere, stach Schweinen vor Wut die Augen aus, zerschmetterte den Gänsen den Hals mit Fußtritten und ertränkte die Welpen der Hunde im nahen Bach.« Er zögerte und holte tief Atem, während ihm erneut Tränen in die Augen traten. »Eines Tages kehrte er trunken vom Wein nach Hause zurück. Wir hörten, wie er meine Mutter beschimpfte, es gab ein großes Gezeter, ein Krachen – dann Stille. Wir gingen hinunter und fanden meine Mutter aus Mund und Nase blutend am Boden liegen. Kein Leben war mehr in ihrem Körper. Mein Vater stand noch immer vor Wut keuchend mit erhobenen Fäusten neben ihr.«
»Euer Heiligkeit«, flüsterte Giulia. Sie war zutiefst betroffen von den Schilderungen des Papstes. »Welch furchtbare Zeit musstet Ihr durchstehen.«
Der Papst nickte. »Den Leuten erzählte mein Vater, meine Mutter wäre gestürzt und dabei ums Leben gekommen. Dort vorn …« Er deutete auf eine Steinplatte vor dem Altar, drei Schritte von ihm entfernt. »Dort hat er gestanden, Trauer und Gram heuchelnd.«
»Und doch habt Ihr dies alles hinter Euch gelassen, Euer Heiligkeit«, versuchte Giulia, ihn zu trösten. »Gott hat Sein Licht auf Euch scheinen lassen und Euch zu Christi Liebe geführt. Auf dass Ihr nicht der Mann werdet, der Euer Vater einst war.«
Der Papst sah Giulia tief in die Augen. Er nahm ihre Hand in die seine. »Und doch bin ich der Mann geworden, der ich nie sein wollte. Ich sehe nun, dass mehr von meinem Vater in meinem Geist, meinem Herzen und meiner Seele ist, als ich je wahrhaben wollte.«
»Euer Heiligkeit«, sagte Giulia, und sie glaubte zutiefst, was sie nun sagte, »das ist nicht wahr. Ihr seid der Stellvertreter Christi auf Erden. Gott hätte Euch niemals auf den Heiligen Stuhl gehoben, würde er nicht an Euch glauben. So vertraut doch dem Herrn auf die gleiche Weise.«
»Höre, was ich zu berichten habe«, sagte der Heilige Vater, »dann fälle dein Urteil erneut.«
Giulia nickte.
»Als ich ein Knabe von zwölf Jahren war«, erzählte er weiter, »nahm mein Onkel, der ein Franziskanermönch war, mich in seinem Konvent auf. Froh darüber, dem Vater entkommen zu sein, gelobte ich, für seine Sünden einzustehen, indem ich ein gottgefälliges Leben führte. Ich studierte eifrig und mit Gottes Liebe im Herzen. Im Alter von fünfunddreißig Jahren ernannte mich Seine Heiligkeit Papst Paul IV. zum Inquisitor der Republik San Marco. Nun, mit päpstlicher, fast gottgleicher Macht ausgestattet, sah ich den Unrat in den Menschen. All ihre kleinen, frevelhaften Unzulänglichkeiten, ihre Schwächen im Geiste und ihre Fleischeslust. Ich verfolgte Hexen und Hexenmeister – und in
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