Die Tochter des Ketzers
– auch ohne Zutun, nur durch ihre Gegenwart – aus ihm herausgelockt hatte, was ein Geheimnis bleiben musste. Doch dann fragte sie sich, ob sie nicht noch viel mehr die Erkenntnis erschreckte, dass Gaspare ein gewöhnlicher Mann war, einer, der geboren worden war. Gewiss war es widersinnig, anderes anzunehmen. Doch sie konnte sich diesen starren, schwarz gekleideten Mann mit dem gelblichen Gesicht, seinen spitzen Zügen und blauen Lippen unmöglich als einen vorstellen, der aus einer Mutter Leib gekrochen war, als ein greinendes Kind aus Fleisch und Blut, das gehalten, liebkost, gefüttert worden war. Unmöglich, dass ihn jemand freiwillig oder gar gerne berührt hatte! Er war sicher nicht hässlich, aber irgendetwas stieß sie ab – und das war nicht nur das Wissen, wer er war und was er ihr angetan hatte. Als er von seiner Mutter sprach, hatte sie an die eigene denken müssen und daran, wie jene nach ihrem Tod aufgebahrt in der Kapelle gelegen hatte. Der Vater hatte verlangt, sie müsse bei ihr knien und beten, und wiewohl sie sich ohne Aufbegehren gefügt hatte, so hatte doch jeder Blick auf Félipa ein tiefes Unbehagen, ja einen Grusel in ihr erweckt. Es war dies nicht bloß Ekel gewesen, sondern der Wunsch, vor etwas Namenlosem, Unheimlichem, Gefährlichem zu fliehen. Vor etwas, das nicht nur den fremden, sondern auch den eigenen Tod vor Augen führt, so, als wäre man selbst schon in dessen süßlichem Gestank gefangen.
Bei Gaspares Anblick befiel sie unwillkürlich ein ähnliches Gefühl.
»Was soll ich schreiben?«, fragte sie. Das Zittern hatte ihre Stimme nicht erreicht. Gottlob. Vielleicht konnte sie ihn wieder zur Vernunft bringen, ihn an die eigentliche Aufgabe gemahnen, die sie zu ihm geführt hatte.
Er blickte sie fragend an, als wäre für einen kurzen, gestohlenen Augenblick tatsächlich sie es, die sein Handeln bestimmte, und nicht er selbst.
»Ja ... was?«, fragte er.
Die Frage deuchte sie nicht minder bedrohlich als sein vorhergehendes Bekenntnis. Gleich, dachte sie, gleich wird er sein Gebaren als Schwäche deuten und sich dafür schämen und mich bestrafen oder zum Schweigen bringen oder beides.
Doch anstatt etwas zu sagen, blickte er nur auf sein Hände, gleichgültig zuerst, dann mit einem Anflug von Erstaunen, als gehörten sie nicht zu ihm.
»Weißt du, wie man in Pisa und Genua Piraten bestraft?«, fragte er, als sie schon nicht mehr mit Worten gerechnet hatte. »Man hackt ihnen die Hände ab.«
Er hob den Blick. »Einmal, ich war noch ein Kind, habe ich davon gehört, dass man dieses Urteil auch gegen Edelleute ausgesprochen hat, die auf den falschen Weg geraten waren. Wiewohl die Strafe eigentlich nicht unüblich war, so erregte man sich doch, weil sie nun feine Männer treffen sollte. Sämtliche Frauen der Familie, so erzählte man sich, haben den Podestà aufgesucht und haben für die Männer gefleht. Es heißt, dass die jüngste Schwester eines Delinquenten sogar ihre Jungfräulichkeit geboten hatte für den Fall, dass er ihren Bruder begnadige. Er hat es nicht getan.« Trocken lachte er auf. »Offenbar war das Mädchen zu hässlich.«
Wieder trat eine lange Pause ein, in der Caterina vergebens zu ergründen suchte, warum er ihr das erzählte.
»Ich frage mich«, setzte er unwillkürlich hinzu. »Ich frage mich, ob meine Mutter sich in einem solchen Fall für mich einsetzen würde ...«
Caterina starrte unbehaglich zu Boden. »Warum sollte sie nicht?«, fragte sie schließlich.
»Wenn sie von mir Nachricht bekäme«, fragte er zurück, »würde es sie trösten, weil ich noch lebe, oder vernichten, weil ich ein Gesetzloser geworden bin, ein Gottloser?«
Caterina erinnerte sich, dass Davide Gaspare ebenso genannt hatte und dass Akil ihr später erklärt hatte, dass Papst Martin – als treuer Verbündeter von Charles d’Anjou – Pere von Aragón nach dessen Eroberung Siziliens exkommuniziert habe ... und mit ihm alle Getreuen, die daran beteiligt waren.
Als Gaspare nichts mehr sagte, ergriff Caterina möglichst lautlos die Feder.
»Soll ich ... soll ich ihr in deinem Namen schreiben?«
Keine Antwort.
»Was ... was genau würdest du ihr denn schreiben wollen?«
»Das geht dich nichts an«, kam es schroff.
»Nun«, murmelte sie, »wenn du mir einen Brief an sie diktieren willst, werde ich es so oder so erfahren.«
Er zögerte, schien mit sich zu ringen.
»Ich könnte dir aber auch das Schreiben beibringen, damit du selbst den Brief verfassen kannst«, schlug sie
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