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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sich, um die Dolchspitze aus dem Boden zu ziehen. »Ich habe gelernt, mich nicht nur auf meine Augen zu verlassen, sondern auf sämtliche meiner Sinne. Wenn du gewagt hättest, mir mit dem Dolch in der Hand auch nur einen Schritt zu nahe zu kommen, so wärst du jetzt tot.«
    Er warf einen abschätzenden Blick auf die Schneide. Sie glänzte nicht, wirkte stumpf – und war dennoch so furchterregend, wie er sie mal in die eine, mal in die andere Richtung hielt, als suchte er sich darin zu spiegeln.
    Wie viele Menschen er wohl mit ähnlichen Waffen getötet hatte? Ihre Leiber aufgeschlitzt? Ob er es mit gleicher undurchdringlicher Miene getan hatte?
    »Du hast mir nicht verboten, mich zu verteidigen«, murmelte sie. »Ich hätte einen deiner Männer töten können.«
    Seine Mundwinkel zuckten verächtlich – und vielleicht ein ganz klein wenig spöttisch. »Wenn jemand aus Blödheit sterben will – dann soll er es meinetwegen gerne tun. Glaub mir, ein Mann, der so geil ist, dass er die Selbstverteidigung vergisst, auf den könnte ich gut und gerne verzichten.«
    Er legte den Dolch zurück auf den Tisch, für sie ein Zeichen, dass er die Episode als beendet ansah. Schnell setzte sie sich auf den ihr üblicherweise zugewiesenen Platz, um nach seinem Diktat zu schreiben.
    Er aber sagte nichts, sondern ging gedankenverloren auf und ab.
    »Soll ich gehen?«, fragte sie, als sie die Anspannung nicht mehr ertrug.
    Er beachtete sie weiterhin nicht, griff plötzlich zu einer braunen Stange, die auf seinem Tisch lag, direkt neben einem leeren Kelch. Was immer es war – Caterina hatte dergleichen noch nie gesehen –, so schien es doch essbar zu sein, denn er begann langsam daran zu kauen.
    Caterina wurde immer unbehaglicher zumute, sie konnte sich nicht denken, dass er sie hatte kommen lassen, damit sie ihm bei der Mahlzeit zusah. Irgendwann schien er ihren verwunderten Blick zu spüren, hob eine weitere dieser seltsamen Stangen auf und warf sie ihr in den Schoß. Wieder zuckten seine Mundwinkel, als sie erschrocken zusammenfuhr.
    »Zuckerrohr«, erklärte er. »Aus Sizilien. Es heißt, dass es den Geist beruhigt, wenn man nur lange genug daran kaut. Und es heißt auch, es würde die Verdauung fördern und die Zähne reinigen.«
    Zögernd starrte sie auf die seltsamen Stangen. War das Obst? Gemüse?
    »Probier doch!«, forderte er sie auf.
    Sie wagte nicht, ihm zuwiderzuhandeln, nahm die Stange in die Hand, blickte sie prüfend an und versuchte schließlich hineinzubeißen. Es schmeckte zäh, hölzern, und doch war ihr nach dem kargen Mahl der letzten Wochen so, als würde ihre Zunge förmlich explodieren ob dieses heftigen, befremdenden Geschmacks, ein wenig bitter, ein wenig süß, auf jeden Fall stark und belebend. Speichel füllte ihren Mund, der eben noch trocken gewesen war vor Furcht und Unbehagen. Sie schluckte hastig, wollte vermeiden, dass er ihr über das Kinn rann. Wiewohl Gaspare sie nicht mehr anblickte, sondern versunken weiterkaute, fühlte sie sich von ihm beobachtet, und das verdarb ihr den Genuss.
    Schließlich ließ sie die Stange sinken.
    »Willst du ... willst du mir nicht diktieren?«, fragte sie.
    Sie hatte den Eindruck, dass sich nun hinter jener glatten, harten, unsichtbaren Wand, die er zwischen sich und die Welt geschoben hatte, etwas regte, ein Anflug von Wehmut vielleicht, der für gewöhnlich bezähmt war.
    Gaspare rang mit dieser Anwandlung, gab ihr schließlich nach, wenn auch nur widerstrebend. Die Worte, die er sagte, schienen nicht aufrecht aus seinem Mund zu kommen, sondern wie geduckte, gekrümmte Gestalten, er schien sie nicht auszuspucken, um Caterina an seinen Gedanken Anteil nehmen zu lassen, sondern einzig, damit er sie los wäre.
    »Ich erhalte regelmäßig Nachricht, was sich in Pisa tut«, sagte er. »Auch heute. Nur lass ich meinerseits nie von mir hören. Manchmal verlangt es mich so sehr danach, einen Brief an meine Mutter zu schreiben.«
    Caterina schwieg. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Vielleicht konnte sie so vorgeben, ihn nicht gehört zu haben. Doch er begnügte sich nicht mit diesem einen Bekenntnis.
    »Meine Mutter lebt noch ... in Pisa«, fügte er hinzu. »Ich habe sie nicht mehr gesehen seit dem Tag, an dem mich die Genuesen verschleppten.«
    Sie fühlte ein Zittern in sich aufsteigen, viel tiefer, viel bedrohlicher als jenes, das von ihrer üblichen Furcht stammte. Zuerst hielt sie ihr Unbehagen noch für die Ahnung, dass er sie später bestrafen könnte, weil sie

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