Die Tochter des Ketzers
vor der Fremde.
Ja, so beginnt die Geschichte meines Schatzes, meiner Schuld – und meiner Liebe.
Kapitel II.
Languedoc, Frühling 1284
Aug in Aug mit der bedrohlichen Welt blieb Caterina nicht lange aufrecht stehen. Erneut sank sie – nur wenige Schritte von der Kapelle entfernt – auf den Boden, dem unsinnigen Wunsch verfallen, sie könne sich auf diese Weise verstecken. Wenn sie nur lang genug so verharrte, würde sie vielleicht mit der fremden Welt verschmelzen, anstatt ihr gegenübertreten zu müssen. Doch die Welt tat ihr den Gefallen nicht, sie zu missachten, sondern ließ die Sonne unbarmherzig auf ihren Nacken brennen. Gleichwohl sie wusste, dass es Menschen gab, die unter freiem Himmel ihr Tagewerk verrichteten, sodenn niemand an den Strahlen des Himmels starb noch am frischen Wind, fragte sie sich doch kurz, ob Gleiches auch für sie gelten würde – oder ob jemand, der sich so lange nur im Inneren aufgehalten hatte, nicht zwangsläufig in Freiheit zugrunde ginge.
Ich darf keine Angst haben, ging es ihr dann aber durch den Kopf. Ich darf keine Angst haben.
Angst war etwas Gefährliches. Der Vater hatte ihr einmal gesagt, dass Dämonen ängstliche und zweifelnde Menschen besonders gerne angriffen, so wie Hase und Hirsch zum Opfer von Hund und Bär werden.
Sie zwang sich, vorsichtig den Kopf zu heben, kniff die Augen zusammen, wagte es, in die Weite zu schauen, eine hügelige, dicht bewaldete Landschaft, jetzt im April von noch etwas bräunlichem Grün. Sie hielt dem Anblick nicht lange stand, suchte lieber Halt an der eigenen Gestalt, betrachtete die Hände, die Beine, das zerfledderte Kleid, erstaunt, dass sämtliche Glieder die letzten Stunden heil überstanden hatten – und dass sie es auch jetzt vertrugen, hier im Freien zu stehen.
Sie würde überleben. Nicht Weite noch Sonne noch der Geruch nach feuchter Erde und nach Verbranntem würden sie fällen.
Zögernd tat sie einige Schritte. Sie drehte sich um – und stöhnte auf. Das Haus, in dem sie seit der Geburt gelebt hatte, war nichts als ein schwarzer, rauchender Schutthaufen. Einzelne verkohlte Balken ragten wie tote Bäume gen Himmel. Darunter die steinerne Grundmauer, fast gänzlich schwarz vor Ruß. Wie viele verkohlte Leichen lagen wohl dort? Nur die von Lorda und dem Vater, oder waren es mehr? Hatten sich die anderen Mägde retten können? Doch wohin? Ins Dorf?
Richtig, das Dorf. Dort arbeiteten und lebten Menschen, die verpflichtet waren, dem Vater Abgaben zu zahlen. Er war ihnen ein strenger Herr gewesen, der ihren Lebenswandel überprüft hatte und stets dort eingeschritten war, wo er nicht dem eines guten Christenmenschen entsprach.
Sollte sie dorthin gehen und um Hilfe bitten? Kannte man sie dort überhaupt? Wusste man, dass der Herr eine Tochter hatte?
Da sie nun erkannt hatte, dass der Boden sich nicht für sie öffnen würde, ging Caterina notgedrungen ein paar Schritte weiter, drängte die lahmen Gedanken dazu, nach allem zu suchen, was das Gedächtnis an Wissen über die Welt bereithielt, außer dass sie ein Sündenpfuhl sei.
Freilich, von der Mutter hatte sie nichts erfahren, was ihr in dieser Stunde das rechte Verhalten vorgab. Félipa wusste, dass man in Gedanken, Worten und Werken sündigte. Die Werke ersparte sie sich, indem sie die Hausarbeit an die Mägde abgab und nichts tat, außer zu beten; die Worte desgleichen, weil sie so gut wie nie sprach, sondern allein mit der Macht ihrer aufgerissenen Augen sämtliche Fragen abschmetterte. Nur wie sie sich vor den Gedanken davonstahl, das ließ sich nicht recht bestimmen, denn niemand kann in eines Menschen Kopf schauen. Aber es mussten wohl wenige sein, weil sich – bis auf diesen ängstlich-starren Blick – kaum jemals eine Regung in ihre Züge stahl. Das war es wohl, was jene jung gehalten hatte. Ihre Haut war straff wie die eines jungen Mädchens gewesen.
Dem Vater schien Félipas Schweigsamkeit recht gewesen zu sein, war es doch ein Verhalten, was Gott dem schwachen Geschlecht abverlangte.
Obendrein sollte das Weib nicht eitel sein. Pelegrina, die Domiceila der Mutter, wurde aus dem Haus gejagt, nachdem sie der Herrin bunte Bänder ins Haar geflochten hatte.
Und Frauen sollten keine unnützen Reden schwingen. Das taten nur die Ketzerinnen, die einst predigend wie die Männer durchs Land gezogen waren. Gottlob hatte man die meisten von ihnen ausgerottet. Noch schlimmer war, dass diese Frauen im Krieg gegen die Franzosen auch schon gekämpft hatten wie die
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