Die Tochter des Ketzers
Dauer eines Wimpernschlags, da sie ihn offen anblickte, während sie hernach sogleich den Blick senkte.
Seine Haut war gebräunt – offenbar brachte er viel Zeit seines Lebens im Freien zu –, die Nase verkrustet, als wäre er einmal zu oft gestolpert und darauf gefallen, und die Füße nackt, schmutzig und verschorft.
Weil er nichts sagte, sondern sie nur fortwährend schweigend ansah, lediglich die freche Ziege sich wieder an sie heranwagte, mit feuchtem Maul ihre Hand anstupste – Caterina wich zurück –, da nahm sie schließlich allen Mut zusammen, um eine erste Frage zu stellen.
»Wer bist du?«
Ihre Stimme klang rau. Erst jetzt gewahrte sie, wie ihre Kehle schmerzte, verätzt vom vielen Rauch, den sie hatte schlucken müssen.
Er zuckte mit den Schultern, als ob er es selbst nicht wüsste. Erst nach einer Weile kam etwas über seine Lippen, was wie »Isarn« klang.
»Und du?«, fragte er zurück, noch ehe sie ihn bitten konnte, den Namen zu wiederholen.
»Caterina de Mont-Poix«, murmelte sie – und erschrak.
Von dem Schrecklichen, was gestern geschehen war, hatte sie nicht viel verstanden, in jedem Falle aber, dass ihr Vater von den Franzosen gehasst wurde, vor allem von jenem, der sich das Nachbargut angeeignet hatte und seitdem auf Pèires Grund und Boden aus war. Besser war darum wohl, nicht zu viel über sich und ihre Herkunft zu verraten. Für wen zählte ihre Unschuld, wenn selbst ihr Vater, der frömmste aller Männer, für einen Ketzer gehalten wurde?
Isarn, oder wie immer er hieß, reagierte freilich nicht auf den Namen, den sie von ihrer Großmutter aus der Lombardei erhalten hatte und der hierzulande von kaum einem Weib geteilt wurde. Er achtete auch nicht darauf, dass ihr der Kummer und Schrecken Tränen in die Augen trieb. Das machte es ihr leichter, jene zu schlucken.
Nicht jetzt, nicht heute. Erst musste sie entscheiden, wohin sie ihren Schatz bringen konnte. Sie dachte an den Vetter ihres Vaters und dass ihr – stolpernd – wieder eingefallen war, wie jener hieß.
»Wo ... wo sind wir hier?«, fragte sie hastig. »Wo ist die nächste Stadt? Kennst du einen Raimon de Mont-Poix?«
Der Knabe zuckte die Schultern und spuckte auf den Boden.
»Du bist hier plötzlich aufgetaucht, nicht ich«, entschied er sich schließlich zu sagen. »Musst also selber wissen, wo du bist. Kannst aber mitkommen. Ich komme dann und wann an einem Dorf vorbei. Weiß aber nicht, ob man dort den kennt, den du suchst.«
Sprach’s, pfiff einmal laut und setzte sich in Gang. Er drehte sich nicht nach ihr um, um zu prüfen, ob sie nachkam. So blieb sie denn eine Weile zögernd stehen, rang mit sich. War es richtig, mit ihm zu gehen? Sollte sie nicht doch jenes Dorf aufsuchen, das zum Besitz des Vaters gehört hatte? Vielleicht würde man ihr dort besser helfen können; vielleicht aber hatte der gierige französische Nachbar längst dessen Bewohner für sich eingenommen, ihnen erfolgreich eingepflanzt, dass Graf Pèire ein Ketzer war.
Wieder hätte Caterina weinen mögen, so schwer fiel ihr die Entscheidung, während Isarns schmächtiger Körper immer kleiner und kleiner wurde. Das Meckern der Ziegen klang wie Hohngelächter in ihren Ohren.
Nicht jetzt, nicht hier, unterdrückte sie erneut die Tränen. Sie musste dem letzten Willen ihres Vaters folgen, ihren einzigen noch verbliebenen Verwandten suchen und den Schatz in Sicherheit bringen.
Fest presste sie das Bündel an sich. »Warte!«, schrie sie – und dann lief sie ihm nach.
Montagne Noire. Schwarze Berge.
Sie erfuhr, dass das Gebiet, in dem sie aufgewachsen war, so hieß, wiewohl die Berge kaum mehr als Hügel waren und sie sich auch nicht schwarz gen Himmel reckten, sondern von Wäldern und Gebüsch bewachsen. Der April ging eben zur Neige, das Osterfest, mit dem das neue Jahr begonnen hatte, war gerade zwei Wochen vorbei. Die Sonne jenes wankelmütigen Monats erwies sich desgleichen als launisch, bissig zwar, wenn sie von der Höhe des Himmels fast senkrecht fiel, aber zu schwach, um sich ins Dunkel des Geästs vorzukämpfen. Kaum waren sie in dessen Schatten, war es Caterina eiskalt. Sie fror entsetzlich in dem dünnen Leinenkleidchen und dem aus Wolle, das sie darüber trug, und wunderte sich, dass Isarn, der doch kaum mehr trug als zerfledderte Hosen und ein schmutziges Hemd, keinerlei Zittern zeigte. Munter sprang er über Stock und Stein und hatte keine Mühe, seinen Weg zu finden, indessen sie ihm kaum nachkam.
Seit seinen letzten
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