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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Worten hatte er sich nicht mehr um sie geschert, auch nicht darauf geachtet, ob sie ihm überhaupt folgte. Nach einer Weile blieb er jedoch stehen, rief einen Namen – offenbar den einer Ziege, obgleich Caterina nicht sicher war, ob es Gott gefiel, dass ein Tier einen Namen trug, und als das Tier nicht kam, so packte der Junge es einfach an den spitzen Hörnern. Dann zog er es zu sich her, legte sich unter den rundlichen Bauch und drückte auf eine der roten Zitzen, bis Milch herausspritzte. Er öffnete gierig den Mund, um die weiße Flüssigkeit aufzufangen, und scherte sich nicht darum, dass manches danebenfloss.
    Es war dies ohne Zweifel das Abscheulichste, was Caterina jemals gesehen hatte. Zugleich leckte sie sich ihre eigenen trockenen Lippen.
    Isarn hob seinen Kopf.
    »Willst auch?«, fragte er.
    Wieder war eine unendlich schwere Entscheidung zu treffen, wieder zögerte sie lange. Sie wollte sich nicht von Gier besiegen lassen, weil jene zu den Todsünden zählte – und zugleich sagte sie sich, dass es nicht nur gierig, sondern auch vernünftig wäre, sich zu sättigen, ganz gleich wie, Hauptsache, es brächte genügend Kraft ein, um den anstrengenden Fußmarsch zu überstehen. So legte sie sich schließlich neben Isarn auf den kalten, harten Boden, blickte angstvoll auf die Hufe des Tiers und suchte schließlich gleich dem Hirten mit dem Mund die Milch aufzufangen, die er aus der Zitze presste. Sie war warm und schmeckte säuerlich, und nach wenigen Schlucken dachte sie, sie müsste sich übergeben. Aber sie zwang sich, so lange zu trinken, bis Isarn die Lust verlor, ihr dabei zu helfen.
    Die nächsten Stunden verbrachte sie ausschließlich damit, ihres Ekels Herr zu werden, an den sie der säuerliche Geschmack in ihrem Mund fortwährend erinnerte. Sie war unter einem Tier gelegen. Sie hatte von dessen Brüsten getrunken. Sie hatte – ungewollt – Isarns Leib sachte gestreift. Seine Fingerspitzen hatten einmal ihr Gesicht berührt.
    Freilich hielt der Tag noch mehr Prüfungen bereit.
    Nach weiteren Stunden blieb Isarn wieder ohne Vorankündigung stehen, ließ sich wieder auf den Boden sinken, diesmal jedoch nicht, um von einer Ziege zu trinken, sondern um ein Bündel aufzuschnüren, das er mit sich trug und das ein kärgliches Mahl beinhaltete: Brot, so grau wie Stein, und ein gelbes Stück Käse, an den Rändern verschimmelt und übel riechend.
    »Magst was?«, fragte er.
    Caterina nahm nur zögerlich von dem Brot, murmelte rasch ein Gebet – und kaute es ergeben. Gottlob war es hart wie Stein – Pèire hatte stets verboten, dass in seinem Haus weiches Brot aus reinem Weizenmehl gebacken wurde, desgleichen wie er nur den Verzehr von Brot erlaubte, das mindestens einen Tag alt war und darum nicht mehr frisch schmeckte. Nur solcherart entginge man der Gefahr, es als Leckerei zu genießen und sich der Sünde der Völlerei schuldig zu machen.
    Zufrieden würde er wohl trotzdem nicht sein mit ihrem Mahl hier, wo er doch größten Wert auf Tischsitten gelegt hatte.
    Aufrecht und gerade musste Caterina am Tisch sitzen, der stets mit einer Tischdecke bedeckt gewesen war. Die Hände hatte sie sich an der Serviette abzuwischen; getrunken wurde nur aus Silberbeehern oder aus einem aus Glas, in den ihr Name eingraviert war. Stets hatte sie von silbernen Tellern gegessen, und nach dem Essen musste sie sich ihre Zähne mit einem Zahnstocher reinigen.
    Isarn hingegen schmatzte und spuckte und rülpste, und als Caterina ihn beobachtete, so befiel sie nicht nur Ekel, sondern tiefste Verachtung, ein lautes Gefühl, das ihre Ängstlichkeit kurz übertönte. Was für ein Barbar! Was für ein schmutziger Junge! Wie tief musste sie gesunken sein, um sich in seiner Nähe aufzuhalten!
    Sie stand auf, ging ein paar Schritte von ihm weg, um sich möglichst weit entfernt von ihm erneut niederzulassen. Nach Beendigung des Mahls wischte sie sich die Hände an feuchten Blättern ab und begann ihr Haar mit den Fingern zu durchkämmen und zu flechten. So sehr war sie damit beschäftigt, dass sie nicht gewahrte, wie Isarn die Reste der Mahlzeit wieder verschnürte, sich vorbeugte und etwas hochhob, was sie auf ihrem vorigen Platz vergessen hatte.
    »Was ist das?«, fragte er.
    Sie blickte hoch.
    »Nicht!«, rief sie so schrill, dass erschrockene Vögel hochflatterten. Auch Isarn zuckte zurück, doch das genügte ihr nicht. Sie stürzte sich auf ihn, entriss das Bündel mit dem wertvollen Schatz seinen dreckigen Händen.
    Mein Gott!,

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