Die Tochter des Ketzers
überlassen, dem Kerkermeister ihre Entscheidung kundzutun, und als er mit Ray das Gefängnis verließ, so blickte sie nicht hoch, sondern starrte zu Boden – als könne sie mit der Weigerung, die beiden anzusehen, zugleich bewirken, dass auch der Entschluss, zwar gefällt, aber immer noch auf wankelmütigen Beinen stehend, nur ein vorläufiger wäre. Noch würde er ihr nicht das ganze Gewicht der Verantwortung auf lasten, dem einen der beiden die Freiheit gegeben zu haben, dem anderen aber wahrscheinlich den Tod.
Auch als Ray sie entdeckte und ihren Namen rief, blickte sie nicht hoch. Nur aus den Augenwinkeln erspähte sie, wie er näher kam, etwas zögerlich, mehr schlendernd denn entschlossenen Schrittes. Unsicher blieb er vor ihr stehen, und als sie sich nicht regte, da kniete er sich neben sie, umarmte sie einfach schweigend, nicht ganz so entschlossen wie früher, sondern zögernd. Offenbar deuchte ihn die Umarmung kein angemessenes Mittel, ihr seine Dankbarkeit auszudrücken, aber es fiel ihm kein anderes ein. Für einen Augenblick lang überflutete sie schlichte Dankbarkeit: Dafür, nicht mehr mit Akil allein zu sein, wieder den vertrauten Körper zu fühlen, in seiner stillen Gegenwart Heimat, Geborgenheit zu finden ... und vielleicht noch etwas anderes – etwas von diesem hitzigen, brennenden Pulsieren, das ihr die eigene Lebendigkeit bewusst machte. Doch schon nach wenigen Augenblicken versteifte sie sich, schob ihn unwirsch von sich weg.
Er richtete sich wieder auf, suchte nach Worten, um sich über die Spannung, die plötzlich zwischen ihnen lag, hinwegzusetzen. »Ich hatte nicht gedacht, dass es dir gelingt, mich da rauszuholen!«, begann er vermeintlich leichtfertig, so als könnte nichts an seinem Selbstbewusstsein kratzen. »War keinen Tag zu früh, das kann ich dir sagen. Ich hoffe, ich werde die vielen Läuse wieder los, die ich mir eingefangen habe. Am Kopf und – na, das sage ich dir besser nicht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie verdreckt das Stroh ...«
»Halt’s Maul!«
Sie schrie ihn nicht an. Sie flüsterte fast.
Ray zuckte zusammen. Jetzt erst stand sie auf, trat zu ihm, freilich nicht, um ihn nun endlich anzuschauen, sondern um an ihm vorbeizustarren, zum Kerker hin. Ein wenig mitleidig blickte er auf sie herab, um sich dann doch trotzig mit den Händen durchs Haar zu pflügen und schließlich angewidert auf den Dreck zu starren, der an seinen Finger und unter den Nägeln klebte.
»Es war kein Aushalten darin, es war unerträglich«, schnaubte er, um dann entschlossen hinzuzufügen: »Und doch muss er dir nicht leidtun. Vielleicht hat er dieses Ausmaß an Strafe nicht verdient. Aber ... aber er hat dir doch so Schlimmes angetan, du kannst doch nicht ernsthaft Mitleid mit ihm ...«
»Halt’s Maul!«
Wieder war es nur ein Flüstern, noch giftiger als zuvor. Bis zu diesem Augenblick war ihr nicht klar gewesen, wie tief ihre Verachtung reichte. »Caterina ...«, setzte Ray hilflos an.
»Ich habe dich erwählt, weil unsere Großväter Brüder waren und weil ... weil ...«, zischte sie. »Ach, egal aus welchem Grund! Ich hab’s eben getan! Aber bild dir bloß nichts darauf ein!«
»Tue ich nicht«, antwortete er, halb trotzig, halb unbehaglich.
Erstmals fiel ihr Blick auf ihn, woraufhin er den seinen senkte. »Und doch denke ich ... doch denke ich, dass Gaspare dieses Geschick eher verdient als ich, nach allem, was er dir angetan hat.«
Kaum merklich versteifte sie sich.
»Weißt du, Ray, was mich erstaunt: Als wir uns das erste Mal trafen, so war meine Welt einfach. Hier war das Gute, dort war das Böse. Gott war Gott, und der Teufel war der Teufel. Ich wollte rechtgläubig sein und nicht die Tochter eines Ketzers, mich sauber von Schuld halten und von deinen vielen Sünden lieber gar nichts wissen. Damals hast du mich verlacht und verhöhnt und mir nicht selten zu verstehen gegeben, die Welt war mit solch schlichter Zweiteilung nicht ausreichend zu verstehen, sei viel komplizierter, stecke voll der Widersprüche. Warum hältst du dich nun selbst nicht daran und deutest die Welt so simpel? Was weißt du schon von Gaspare?«
Zuerst duckte er sich unbehaglich, dann hob er doch den Kopf und hielt ihrem Blick stand. »Und was weißt du von ihm? Caterina, ich verstehe es schlichtweg nicht: Was ist es, was dich an ihn bindet, was du ihm zu schulden glaubst? Du magst mich verachten – und jeden Grund dazu haben –, aber warum ihn nicht noch viel mehr?«
Sie schüttelte den
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