Die Tochter des Ketzers
Kerkermeister gutmütig, und sie schöpfte Hoffnung, dass er zwar ein geschwätziger, jedoch kein erbarmungsloser Mensch war, dass er ihr ihre Bitte nicht verwehren würde, wenngleich er die Erfüllung hinauszögerte. »Ja, Mädchen«, sagte er da jedoch schon und raubte ihr nicht nur die Hoffnung, sondern schickte sie in einen zermürbenden Kampf, »im Leben gibt’s von allem zwei, und man muss sich stets entscheiden. Man folgt dem Recht oder dem Unrecht. Man wählt das Vertraute oder wagt den Aufbruch ins Fremde. Man kann sich für den Tod entscheiden, wenn man das Leben nicht erträgt, oder für die Qual, dieses Leben irgendwie auszuhalten und durchzustehen. Es gibt einen Himmel, und es gibt eine Hölle. Und es gibt die Reinlichkeit und den Dreck. Wie gesagt, am leichtesten ist die Grenze zwischen Letzteren zu ziehen.« Wieder wurde sein Blick versonnen. »Weißt du, Mädchen, ich brauch das Zeugs hier nicht. Nichts muss mir dazu verhelfen, den Himmel zu erlangen, solange ich hier den Boden scheuern kann. Aber ich will mich deinen flehenden Augen nicht verschließen. Sollst schon bekommen, was du willst, zumindest einen Teil davon – denn warum solltest du dich nicht zwischen zweierlei entscheiden müssen, so wie wir alle?«
Er musterte wieder die Reliquie, und obwohl er ein Interesse daran leugnete, blitzte es kurz in seinen Augen auf. »Ich nehme diese ... diese Kostbarkeit da. Und dafür kriegst du einen der beiden Männer. Ist das nicht ein gutes Geschäft?«
Caterina hockte in jenem Staub, den Simone mit Inbrunst mied, hatte ihr Gesicht zwischen den Knien vergraben, gewahrte kaum, was rund um sie vorging – Frauen holten Wasser, Hunde kläfften und stießen ihr forsch die Schnauze ins Gesicht, Hühner gackerten. Sie kämpfte lange mit sich.
Sie hatte Akil verscheucht, wissend, dass er ihr weder helfen konnte noch wollte, und blieb über Stunden alleine mit ihrer Ratlosigkeit.
Eine Entscheidung.
Sie hatte tatsächlich erreicht, mit ihrem Verzicht auf die Reliquie, den der Vater als Verrat begreifen würde, Leben zu retten – doch eben nur eines, nicht beide.
Eine Weile hoffte sie, sie müsse darüber gar nicht erst nachdenken, der Entschluss würde wie von selbst kommen und selbstverständlich sein, so gewichtig, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als danach zu handeln.
Doch obwohl viele Gedanken an ihr vorbeistreiften, waren allesamt zu nichtssagend, um ein Urteil zu erzwingen. Jeder einzelne hatte Gewicht, doch kein besonders starkes. Es war leicht, es wieder aus der Waagschale zu nehmen, das nächste dareinzulegen, zu sehen, wie die Schale sich senkte, mal in die eine, mal in die andere Richtung, doch niemals ganz zu Boden gezogen wurde. Obwohl sie in letzter Zeit selten darüber nachgedacht hatte, so war doch Ray ihr Verwandter, wenn auch ein weit entfernter – und das sprach für ihn. Der eigenen Familie sollte sie mehr verpflichtet sein als einem Fremden.
Aber war ihr Gaspare so viel fremder? Seine Leere, seine Sturheit, seine Kälte und auch sein verbissener Wunsch, die Welt einer gerechten Ordnung zu unterwerfen – es hatte ihr aus der zerkratzten Seele gesprochen, anders als Ray mit seiner Gereiztheit und Ungeduld. Oft hatte sie den Eindruck gehabt, dass jene nicht von echter Verzweiflung, von tiefstem Trübsinn gespeist ward, sondern von einem kindlichen Trotz, den sie verachtet hatte.
Gaspare hat mehr erlitten als Ray, dachte sie. Dass er erneut im Kerker gelandet ist, war nicht seine Schuld. Gebührt es ihm nicht mehr als Ray, dass er daraus befreit wird? Entspräche es nicht der Gerechtigkeit?
Aber die Welt ist nicht gerecht. Das hatte sie ihm selbst gesagt – als er Ray auspeitschen ließ. Weswegen jener durchaus einen Grund gehabt hatte, sich zu rächen. Man konnte ihm vieles vorwerfen, aber dass er Gaspare an Davide auslieferte, wog sicher nicht am schwersten, schließlich hatte er Gaspare nie die Treue oder ein Bündnis versprochen. Und war er nicht selbst auch ein Opfer von Davide geworden – vielleicht sogar noch mehr als Gaspare? Jener hatte schließlich den Grundstein für die Feindschaft mit dem genuesischen Kaufmann selbst gelegt, sie wollte gar nicht wissen, mit welchen schauderlichen Taten, hatte Davide allein aufgrund von dessen Herkunft angefeindet, obgleich er mit Gaspares traurigem Geschick nichts zu schaffen hatte. Das war nicht minder ungerecht als das, was ihm selbst zugestoßen war.
Ray hatte sie betrogen, hatte ihr die Reliquie zu rauben versucht,
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