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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nicht, um ihr willentlich zu schaden, sondern aus Berechnung und Leichtsinn, beides vom Willen getragen, sich durchzubringen, zu überleben. Durfte sie ihm dieses Leben jetzt verweigern?
    Gaspare hatte ihr ohne Zweifel mehr angetan an jenem Tag, da er sie den Männern überließ, doch konnte sie ihm jenes Ver- gehen in seiner ganzen Schwere anlasten? Damals hatte er sie nicht gekannt, war sie nichts weiter für ihn gewesen als eine Fremde, der er nichts schuldig war. Kaum freilich war sie ihm vertraut geworden, hatte er ihr nicht nur das Herz ausgeschüttet, sondern sie stets geschützt. War das nicht gegen früheren Frevel aufzurechnen? Als sie gemeinsam mit Ray geflohen war – ob es nun aus freien Stücken geschah oder nicht –, hatte Gaspare sie losbinden und nur ihn mit der Peitsche bestrafen lassen. Er hatte sie aus Ramóns Händen befreit, nicht nur das eine Mal am Hafen, sondern auch das zweite Mal, als jener sie verschleppte, was umso mehr zählte, weil er damit seine Zukunft auf Malta verspielt hatte.
    Wie viel wäre Ray bereit gewesen, für sie zu verspielen? Würde er jemals ein Opfer für sie bringen?
    Das konnte sie sich kaum vorstellen. Allerdings – Ray hatte sie gehalten, in all den Nächten, da ihr Leib verängstigt gezittert hatte und ihre Seele fast erfroren wäre. Vor vielen der scheußlichen Fratzen des Lebens hatte er sie nicht bewahren können – aber vor der Einsamkeit schon. Er hatte sie geküsst, und das mochte zwar anmaßend gewesen sein, gezeugt wohl weniger von Begehren als von der Gier, sich das vom Leben zu nehmen, was ihm zuzustehen schien – und zugleich aufrichtig, unverstellt, ganz ohne Zaudern.
    Sie hatte kaum mehr daran gedacht, zu viel war in der Zwischenzeit geschehen. Aber jetzt fühlte sie, wie sie in Erinnerung daran erschauderte, wie Röte in ihr Gesicht stieg, und jene war nicht nur von Scham gezeugt, sondern von hitziger Sehnsucht. Auf wen sollte sie nun, da sie nicht wusste, wie es weiterging und worauf sie bauen konnte, mehr vertrauen als auf einen wie ihn? Gewiss wollte sie ihm nie wieder das eigene Geschick vollends in die Hände legen. Aber wenn es darum ging, langsam wieder zurück zu einem brauchbaren Alltag zu finden – durch jenes Labyrinth aus Ängsten und Verlorenheit und Schändung hin- durch –, dann würde er wohl die beherzteren, selbstbewussteren Schritte machen.
    Die vielen Gedanken verästelten sich, stießen auf eine Frage, die viel älter war als der Tag: Kann ich je wieder heil werden nach allem, was geschehen ist?
    Sie wusste es nicht. Sie dachte sich nur – und diesmal kam die Antwort leicht und plötzlich und mit jener Aufdringlichkeit, mit der sie so gerne auch die andere Entscheidung gefällt hätte –: Ray kann heil werden. Viel eher und leichter als Gaspare.
    Ein Schatten huschte über sie, leise, aber störend.
    Sie blickte auf, gewahrte, dass das Licht trüber geworden war. Einer der streunenden Hunde, die durch Alerias Gässchen irrten, hatte sich vor ihr breitgemacht, schlug mit dem räudigen Schwanz auf den Boden und starrte sie an, als wüsste er von der Schwere ihrer Gedanken. Akil hockte daneben und kraulte seine Ohren.
    Es war Akils Miene nicht anzusehen, was er an ihrer Stelle tun würde. Es blieb allein ihr überlassen, eine Entscheidung zu fällen.
    »Weißt du, was du tun wirst?«, fragte er.
    »Ja«, sagte sie, »ja.«
    Die Gefangenschaft im Kerker schien Ray weniger zugesetzt zu haben als die auf dem Schiff. Er presste seine Augen zwar im grellen Sonnenlicht zusammen, sein Haar war so schmutzig, dass es fast grau schien, und sein Gesicht hatte eine nicht minder leblose Farbe – und doch wirkte er nicht zermürbt, sondern vor allem müde und hungrig.
    Mit der ihm eigenen Geste schüttelte er sämtliche Glieder durch, drehte den Kopf erst in die eine, dann in die andere Richtung, als wollte er die Wirbel des Halses geraderücken. Zuletzt ließ er ein paar Mal seine Schultern kreisen.
    »Habt ihr was zu trinken?«, fragte er schließlich. »Ich sterbe vor Durst. Im Kerker schmeckte das Wasser wie Pisse. Und zu essen brauche ich auch irgendwas. Das Brot war hart wie Stein, so es denn welches gab. Sie backen es hierzulande nicht aus Mehl, sondern aus Kastanien. Bäh! Mir scheint, ich habe ein Loch im Bauch!«
    Seine Stimme klang etwas rau, aber freimütig. Einzig der fahrige Blick, mit dem er an Akil vorbeistarrte, zeugte von Verstörtheit.
    Anders als Akil war Caterina nicht zu ihm getreten. Sie hatte es dem Jungen

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