Die Tochter des Ketzers
Kopf, bekundend, dass sie sich ihm gewiss nicht zu erklären brauchte. Doch dann sprach sie eisig kalt: »Ich weiß es nicht. Er ist stark – und dennoch zerstört. Er ist grausam – und barmherzig. Ich habe keine Ahnung, wie viele Menschen er ohne Mitleid getötet hat, aber Akil hat er seinerzeit gerettet, wusstest du das überhaupt? Er ist von allem etwas. Vielleicht bin ich das auch. Kann dir gar nicht sagen, wie ich euch beide manchmal verachte und hasse – und doch habe ich die schlimmste Sünde für euch begangen. Ich glaube, ich habe gemordet.«
Immer noch war sein Blick eigensinnig. Dennoch sah sie Verwirrung darin aufblitzen. Er schien etwas fragen zu wollen, aber scheute sich dann doch, es zu tun, begnügte sich erneut mit jener Regung, die ihm vertrauter war. Vorsichtig legte er seinen Arm um ihre Schulter, versuchte sie an sich zu ziehen, nicht unbeherrscht und gierig wie in jener Nacht vor dem Untergang der Bonanova, da er sie geküsst hatte, sondern freundschaftlich, sachte, warm.
Sie seufzte auf, wenngleich sie auch diesmal nicht zugeben wollte, wie wohlig und beschwichtigend es sich anfühlte. Wovon immer seine Umarmung kündete, war so einfach, so simpel. Doch leicht wollte sie es ihm nicht machen, ihm das Gewicht, das ihr die letzten Stunden und Tage auferlegt war, nicht einfach ersparen. Mochte er auch einer sein, der es geschickt von seinen Schultern abwälzen und hernach einen großen Bogen darum machen würde – er sollte die Last der Entscheidung spüren, die sie hatte treffen müssen.
Da schlug sie zuerst seine Hand weg und ihm dann ins Gesicht.
»Caterina ...«
»Fass mich nicht an!«, schrie sie, und ihre Stimme gewann an Kraft und Farbe. »Fass mich nicht an! Ich werde dir vielleicht verzeihen, dass du Gaspare an Davide verraten hast, sowie ich dir bisher so vieles verziehen habe, Gott weiß warum. Aber erklär mir nie wieder die Welt! Nicht du! Nicht du! Du bist ein Betrüger, du hast dich immer an dieser Welt vorbeigetrickst. Selbst jetzt lässt du dich nicht wirklich von ihr berühren. Du sitzt es einfach aus – und wartest, dass du zurückkehren kannst in dein altes Leben. Ich jedoch kann das nicht. Mein altes Leben gibt es nicht mehr. Es ist alles ... aus den Fugen. Es ist alles so schwer geworden. Also, komm du mir nicht und versuch mir einzureden, es wäre leicht.«
Ihre Finger zeichneten sich rot in seinem gräulichen Gesicht ab. Wiewohl er doch aus dem Kerker befreit war, schienen seine Züge jetzt erst richtig einzufallen.
»Vielleicht bist du die Stärkere von uns beiden«, warf er hilflos ein.
»Hör auf mit diesem Gejammer!«, rief sie und stampfte auf. »Erzähl mir nicht, dass der eine so und der andere anders wäre. Man ist nicht so stark, wie man sein will, sondern wie man sein muss. Rede dich nicht raus, als wäre es fremde Schicksalsmacht, die über dein Handeln bestimmt.«
»Was verlangst du denn von mir, das ich tue?«
»Was du tust?«, gab sie schrill zurück. »Es geht hier nicht um dich und um deine Taten, auch wenn du denkst, dass es das Einzige ist, was zählt!«
Abrupt drehte sie sich um, ließ ihn stehen. Ratlos blickte er ihr nach. »Wo willst du denn hin?«
Sie gab keine Antwort, machte nur eine wegwerfende Bewegung und ging mit eiligen Schritten auf jenes Tor zu, aus dem Ray eben gekommen war.
»Du kannst doch nicht in den Kerker gehen! Was treibt dich dorthin?«
Wieder gab sie keine Antwort, sondern beschleunigte nur den entschlossenen Schritt.
Die Zelle, in der Gaspare hockte, war noch feuchter als Simones Unterkunft, der Boden klebrig vom salzigen Meerwasser, das unsichtbar durch sämtliche Ritzen des Gemäuers floss, wenn die See stürmisch war. Es roch nach Algen und nach Fäulnis – ein süßlicher Geruch wie nach Verwesung. Jener stieg nicht nur vom Boden auf, der mit spärlichem Stroh bedeckt war – längst nicht mehr von frischem Gelb, sondern von glitschigem Braun –, sondern schien auch von der Decke zu kommen, auf der sich dunkle Flecken ausbreiteten.
Es war kühl, wenngleich nicht finster. Durch eine Luke, kein glattes Rund, sondern wie in den Stein gebissen, konnte man nach draußen schauen, auf das blaue Tuch des Meeres, das an manchen Stellen vom Wind aufgeschlitzt war, sodass der weiße Wellenschaum hervortrat.
Anstatt in Gaspares Gesicht zu sehen, blickte sie lange nach draußen, hoffte, er möge den Anblick erleben wie sie – als Labsal für eine Seele, die von Gefangenschaft schon viel zu lange verstört worden war
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