Die Tochter des Ketzers
meine Gründe mit denen der Ketzer zu vergleichen, denn ...«
»Nein, gewiss nicht! Du bist eine gute Katholikin! Und weil wir den Pfaffen hierzulande nicht trauen, heißt es, Frankreich zu verlassen.«
Dass er so plump ins Wir wechselte, störte Caterina. Freilich war sie Ray inzwischen auch dankbar, dass er stets ohne Bedacht und Planung sprach, alles erzählte, was er irgendwo aufgeschnappt hatte, nichtiges an wichtiges Detail fügte. Ohne Zweifel wusste er viel, und wenngleich sie es nicht überprüfen konnte, so begann sie doch, möglichst viel von seinen Worten zu bewahren. Vielleicht würde es ihr eines Tages von Nutzen sein, in jedem Fall machte es die fremde Welt ein wenig durchschaubarer.
So erfuhr sie durch Ray mehr vom fremden Aragón. Bis vor einigen Jahren hatte Jaume I. dort geherrscht, welchen man el Conqueridor, den Eroberer, nannte. Als Kind hatte er – mehr als Geisel denn als Gast – in der Obhut von Simon de Montfort leben müssen, jenem großen französischen Ritter, der sich im Krieg gegen die Katharer verdient gemacht hatte. Erwachsen und König geworden, suchte Jaume sich Frankreich gegenüber jedoch stark und selbstbewusst zu geben und sich nicht von der Drohung einschüchtern zu lassen, die über ihm hing: Einst hatte Aragón nämlich den fränkischen Königen gehört, und darum war nicht undenkbar, dass des Nachbarn Appetit auf dieses Land erneut erwachen könnte. Jaume el Conqueridor suchte dem vorzubeugen, indem er sein Land stärkte und es vergrößerte – um einige Inseln im Mittelmeer, die Mallorca, Menorca und Ibiza hießen und die er der Hand der heidnischen Almohaden entriss ...
Nun, die Franzosen hatten nicht gewagt, an dem brüchigen Frieden zu rütteln, der zwischen den beiden Ländern herrschte. Und auch unter den Söhnen von Jaume – Pere III. und Jaume II., die sich das ererbte Land teilten – schienen die Grenzen gewahrt zu bleiben.
»Dennoch«, hatte Ray seine Erzählungen beschlossen, »wenn du berichtest, dass du vor der Willkür der Franzosen fliehst, bist du dort ein gern gesehener Gast. Und wie dankbar wird man erst sein, deinen Schatz verehren zu dürfen!«
Sie hatte sich an seinen beißenden Spott schon gewöhnt.
»Und was willst du dort machen?«, fragte sie misstrauisch.
»Bin nicht zum ersten Mal dort drüben«, erwiderte er leichtfertig. »Auch dort lässt sich etwas Geld verdienen, weißt du? Und manchmal tut’s gut, sich ein paar Monate aus der Heimat zurückzuziehen. Die Leute gewöhnen sich sonst zu sehr an mein Gesicht und finden es schließlich nicht mehr lustig, wenn ich sie besuche, sondern nur noch langweilig.«
»Könnt mir nicht vorstellen, dass dir die Ideen ausgehen, wie du sie an der Nase herumführen kannst«, warf Caterina mürrisch ein.
»Oho! Schon wieder dieser Anflug von Spott! Das mag ich so an dir, liebste Base, dass du nicht aufhörst, mir meine Art zu leben madig zu machen!«
Diesmal schüttelte sie nur düster den Kopf. Auch das schien ihn zu amüsieren, er öffnete schon den Mund, um den Spott auf die Spitze zu treiben. Doch noch ehe er ein erstes Wort sagte, zuckte er zusammen – und lauschte angestrengt.
Vom nächsten Dorf her wehte Lärm zu ihnen, und er zeugte nicht vom üblichen Marktgeschrei, sondern von einem außergewöhnlichen Tumult.
Beschämend war für Caterina, wessen sie hier Zeuge wurden. Und zugleich war sie in den letzten Tagen selten mit solch tiefer Genugtuung erfüllt wie in jenem Augenblick, da sie den Marktplatz erreichten und begriffen, was dort vor sich ging.
Ehe sie Ray und Faïs gesehen hatte, wie sie miteinander Unkeuschheit trieben, konnte sie sich nicht erinnern, jemals einen nackten Leib betrachtet zu haben. Hochgeschlossen waren die Kleider der Mutter gewesen, und Lorda war vom Vater stets aufs Strengste angewiesen worden, den wogenden Busen ausreichend zu verbergen, kaum war Caterina dem Alter entwachsen, da sie noch von diesem genährt wurde. Sich selbst, das hatte sie gelernt, durfte man nicht mustern, geschweige denn berühren.
An jenem Tag freilich lernte sie, dass Nacktheit – so der Mensch ihr denn unfreiwillig ausgesetzt war – auch ein Mittel zur Strafe war.
König Philippe HL, der in Frankreich regierte und den man »den Kühnen« nannte, hatte ein Gesetz erlassen, wonach ein Paar, das beim Ehebruch ertappt würde, hundert Sous Strafe zahlen müsste (bei König Louis waren es noch fünfzig gewesen). Andernfalls sei die Schuld abzutragen, indem die Ehebrecher nackt durch
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