Die Tochter des Ketzers
sie am Arm packte und sie zwang, ihr ins Gesicht zu blicken, da meinte sie streng: »Glaub nicht, dass ich dir mehr Schuld gebe als Ray. Ihr werdet beide in der Hölle braten, wo der Sünder den Wein des Zornes Gottes trinken muss. Und er wird mit Feuer und Schwefel gequält vor den Augen der heiligen Engel!«
»Ha!«, lachte Faïs. Sie machte eine lange Pause, zeigte dann auf die Schmiede, wo der Vater tatenlos in einem Winkel hockte. Seine Augen waren trocken, aber über seine Lippen trat ein i dünner Faden gelblichen Speichels. »Ha, die Hölle! Die macht mir keine Angst! Was glaubst du, wie es ist, wenn man mit einem Menschen zusammenleben muss, der ständig trübsinnig vor sich hinstarrt, nichts isst, nur trinken will, der weint, ob- gleich er ein Mann ist? Ray kann man nicht trauen. Aber er weiß zu leben, und wenn er dann und wann vorbeikommt, will ich ihm was geben ... dafür, dass er mich aufheitert. Das lass ich mir von dir nicht vermiesen, Mädchen!«
Caterina ging, ohne sich noch einmal nach Faïs umzudrehen, aber der gerechte Zorn, den sie bis eben noch verspürt hatte, zerfiel in der lauen Luft. Erst nach einem kleinen Stückchen konnte sie frei und in vollen Zügen atmen. Es war ihr nicht nur, als würde sie von einer Stätte schlimmster Unzucht fliehen, sondern von einer der Trostlosigkeit, der aufreibenden Stille, nicht unähnlich jener, die manchmal über dem eigenen Heim gelegen hatte, ehe es die Franzosen gestürmt und verbrannt hatten. Niemals war diese Stille von der Stimme ihrer Mutter durchbrochen worden, die meist nicht minder ausdruckslos blickte als Faïs’ stumpfsinniger Vater. Einzig Lordas Klagen über diesen seltsamen Haushalt und Pèires strenge Worte, mit denen er sie zu schweigen hieß, hatten die Stille manchmal aufgelockert.
Caterina schüttelte den Kopf, um die verräterischen Gedanken zu zerstreuen. Sie hätte es nie laut zugegeben, aber insgeheim war sie froh, dass es – trotz der gemeinsam verbrachten Nacht – Faïs war, die zurückblieb ... und dass sie selbst mit Ray gehen konnte.
Sie hatten das Gebiet der Montagne Noire verlassen und zogen weiter, nicht immer allein, sondern manchmal in Begleitung anderer Menschen, deren Arbeit an keinem festen Ort stattfand, sondern sie von Dorf zu Dorf führte: Handwerker waren ebenso dabei wie Kessler und Hafner, auch Steinhauer und Steinmetze, Markthändler und Gesellen schließlich, die einen Beruf erlernt, nun aber nicht länger im Haushalt ihres Meisters leben konnten und nach einem Ort suchten, wo sie sich niederlassen konnten. Auch in den einsamen Gegenden stießen Caterina und Ray immer wieder auf Menschen: Harzsieder, Schindelmacher und Laubsammler, Brenner von Pottasche und natürlich Hirten.
All jene mochte Caterina ertragen – strikt hatte sie sich jedoch geweigert, noch einen Schritt an seiner Seite zu gehen, als Ray eines Tages von drei Mädchen in gelben Kleidern gebeten wurde, sie ein Stück zu begleiten, auf dass sie nicht ganz ohne männlichen Schutz ziehen mussten. Nicht nur an den schrillen Gewändern, sondern auch an ihrem Kichern sowie dem seinen erkannte sie, dass jene keiner rechtschaffenen Arbeit nachgingen.
»Das sind ehrlose Frauen«, schimpfte sie. »Sie haben den Bösen Blick, der guten Menschen schadet!«
»Na und?«, lachte Ray. »Zählte die Heilige Maria Magdalena nicht auch zu ihrer Zunft, ehe sie Christus folgte?«
»Jene hat bitterlich über ihre Sünden geweint und ihr restliches Leben Buße getan. Diese ... diese ... Frauenzimmer sehen mir aber nicht aus, als würden sie von ihrer Sündenlast erdrückt. Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen!«
»Also gut«, nickte Ray grinsend den Mädchen zu, »ihr habt’s gehört. Meine strenge Base will mich nicht teilen, sondern ganz allein besitzen. Wir wollen sie nicht eifersüchtig machen, wo wir doch wissen, dass Neid eine der grässlichen Todsünden ist!«
Caterina ballte die Hände zu Fäusten, als Gelächter aufbrandete, aber ließ es schweigend über sich ergehen, weil Ray sich ihrem Willen gefügt hatte und die liederlichen Frauen ihren eigenen Weg gegangen waren.
So ging es weiter auf ihrer Reise. Sie führte in Richtung Carcassonne, jener Stadt, die einst eine Hochburg der Ketzer gewesen war. Die Franzosen hatten sie nach langer Belagerung eingenommen und trotz erbitterter Widerstände – Raimon Trencavel hatte vor einigen Jahrzehnten vergeblich versucht,
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