Die Tochter des Ketzers
würde, was er ausheckte oder ob er schlichtweg den Verstand verloren hatte. Doch die Blicke, die sie trafen, blieben verschlossen, und das Land hinter Collioure – die schroffen Ausläufe der Pyrenäen, die Weinberge, die Wachtürme, die errichtet worden waren, um den Bewohnern rechtzeitig einen Angriff von Piraten anzukünden, gerade eben war einer von diesen im Bau – gab nichts von dem preis, was vor ihr liegen mochte.
Zweifelnd blickte sie zurück zum Boot. Kaum hob es sich vom Wasser ab, glich einem dunklen Loch, das sie, wenn sie es bestiege, womöglich nicht tragen würde, sondern in eine noch unergründlichere Welt reißen würde als die hiesige.
Der Zweifel von vorhin kehrte zurück, das tiefe Verlangen zu fliehen. Diesmal war es nicht zögerlich, sondern ergriff mit aller Macht Besitz von ihrem Geist und befahl ihr, ein lautes »Nein!« zu rufen.
Ray fuhr herum, und das Lächeln schwand von seinem Gesicht.
»Nein, ich begleite dich ganz sicher nicht!«, rief Caterina.
Der Klang ihrer Stimme entsetzte sie. Nichts Geringeres schien er zu verheißen, als dass sie fürchtete, Ray würde sie ermorden, anstatt sie nur an einen fremden Ort zu bringen, um ihr dort ein neues Kleid zu kaufen.
»Ach, Base«, meinte er – halb mitleidig, halb gereizt. »Stell dich doch nicht so an, ich will dir doch nicht ...«
Sie hörte ihm gar nicht mehr zu. Sie presste das Bündel mit ihrem Schatz fest an sich, machte kehrt und lief mit eiligen Schritten davon.
Mühelos holte er sie ein.
»Ich hätte nicht mit dir gehen dürfen«, zischte sie atemlos über ihre Schultern, »dir niemals vertrauen! Du bist nicht zu durchschauen! Ich verstehe einfach nicht, was dich antreibt!«
»Nun, bleib doch stehen!«, rief er ungeduldig.
»Ich steige nicht in das Boot! Ich ...«
»Caterina! Nun hör mir doch zu! Du hast doch keine Angst vor mir, oder? Du musst doch nicht von mir weglaufen!«
Kurz blieb sie stehen, starrte ihn an. Sein Ton war werbend geworden, als wolle er eines jener Mädchen einlullen, mit denen er sich des Öfteren vergnügte. »Ich verstehe einfach nicht, was dich antreibt«, wiederholte sie hilflos und setzte entschlossen hinzu: »Du musst allein dieses Boot hier besteigen.«
Ein unsicheres Grinsen schlich sich kurz auf seine Züge.
»Dann tut es mir leid, Base«, sagte Ray.
Sein Tonfall, der ehrlich bekümmert klang, ließ sie zaudern. Der Spott war aus seinen Zügen geschwunden, auch der Überdruss ob ihres störrischen Gebarens, nur mehr ein Anflug ehrlichen Bedauerns huschte über seine Miene. Sie stutzte.
»Was tut dir leid?«, fragte sie verwirrt.
Anstelle einer Antwort sah sie aus den Augenwinkeln einen schwarzen Schatten. Noch ehe sie auch nur daran denken konnte, ihm auszuweichen, krachte etwas gegen ihre Schläfen, ihr Schädel schien zu zerbersten.
Ihr Kopf drehte sich. Das Bild vor ihren Augen verrutschte. Ohnmächtig sank sie vornüber.
Corsica, 251 n.Chr.
Ich erzählte Gaetanus nichts.
Nichts davon, dass Julia Brot von der Tafel genommen hatte; nichts davon, dass sie sie vorzeitig verlassen hatte, und ebenso wenig, dass ich sie in dieser Runde angetroffen hatte, in der sie selbst mich willkommen heißen, jener gewisse Marcus aber lieber vertreiben wollte.
Einzig mit Thaïs sprach ich darüber.
»Vielleicht ... vielleicht ist es eine Verschwörung!«, meinte sie.
»Unsinn!«, herrschte ich sie an.
»Doch, doch!«, bestand Thaïs, »man hört immer wieder, dass jene Menschen, die hier auf der Insel lebten, ehe die Römer kamen, sich gegen die Besatzung wehren.«
»Aber Julia ist die Tochter von Eusebius, einem Bürger Roms. Und jener Marcus trägt doch auch einen römischen Namen.«
Thaïs zuckte die Schultern. »Wer weiß, wer weiß ...«
Wir kamen zu keinem endgültigen Urteil. Mehrere Tage zogen ins Land, und schließlich geschah etwas, was mich derart aufwühlte, dass ich alle Überlegungen vergaß.
Gaetanus rief mich eines Morgens zu sich, zu einer unüblichen Tageszeit und offenbar nicht mit dem Willen, sich von mir massieren zu lassen. Sein Blick war ungewöhnlich wach: Als er kam, musterte er mich, erstmals nicht gleichgültig, sondern for- sehend. Meine Handflächen wurden schweißnass, mein Herz tat einen freudigen Satz. Er sah nicht durch mich hindurch. Ich war nicht länger unsichtbar für ihn.
Doch dann sagte er etwas, was meine Freude augenblicklich versiegen ließ: »Krëusa«, fragte er, »du bist doch Krëusa?«
Ich stand wie betäubt. Schon früher hatte ich
Weitere Kostenlose Bücher