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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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als es mir eigentlich zustand.
    Es störte sie nicht. Sie trat auf mich zu, nahm die prächtige Haarnadel, fuhr mir damit mehrere Mal durchs Haar, ehe sie einen Knoten aus meinen Strähnen schlang und sie darin feststeckte. Diesmal wagte ich es nicht, das Geschenk abzulehnen, gleichwohl ich ihr auch nicht dafür dankte. Sie schien keinen Dank zu erwarten.
    »Ich will, dass du mir Gesellschaft leistest«, erklärte sie ruhig.
    »Warum?«
    Sie gab keine Antwort, ging zu ihrem Tisch, rollte,Papyrus auf. »Als wir in Carthago lebten, da kannte ich einen Mann mit dem Namen Thascius Caecilius Cyprianus, wir nannten ihn Cyprian. Er hat mir einen Brief geschrieben. Willst du ihn hören?«
    Ich wurde immer widerwilliger. Doch ehe ich mich weigern konnte, ehe ich sie bitten konnte, mich doch gehen zu lassen, ehe ich auch die Nadel aus den Haaren reißen konnte, da hatte sie schon zu lesen begonnen.
    »Die Welt ist alt geworden, steht nicht mehr in ihrer früheren Kraft und erfreut sich nicht mehr derselben Frische und Stärke, in der sie ehemals prangte. Nicht mehr reicht im Winter des Regens Fülle aus, um die Samen zu nähren, nicht mehr stellt sich im Sommer die gewohnte Hitze ein, um das Getreide zur Reife zu bringen ...«
    Dieser Satz war mir als einziger in Erinnerung geblieben. Er ging mir durch den Kopf, als ich das Haus verließ, mich wieder auf den Heimweg machte. Nicht dass mich der Brief sonderlich berührt hätte, mich noch mehr aufgewühlt, als ich durch ihre Gesellschaft ohnehin war. Doch die Ahnung von Traurigkeit, von Resignation, die ich daraus zu verstehen glaubte, deuchte mich irgendwie vertraut.
    Ich dachte freilich nicht lange darüber nach, denn als ich nach Hause kam, wurde ich bereits erwartet. Es fällt mir damals wie heute schwer zu glauben, von wem ...
    Es ist wohl dieser Moment gewesen, da sich meine Welt, bereits von Julia sachte in Bewegung gebracht, endgültig drehte, und als sie später wieder stehenblieb, so war sie aus den Fugen geraten.

Kapitel IX.
Roussillon, Frühling 1284
    Das Schaukeln weckte Caterina sanft; es hielt sie so lange in Schläfrigkeit gefangen, dass sie sich langsam daran gewöhnen konnte, wie aus der abgründigen Schwärze ein Grau wurde, wie jenes Grau Gerüche enthielt nach Salz, nach Holz, nach Teer, wie es von Lauten durchsickert wurde, dem spitzen Gekreisch der Möwen, dem sanften Wellengesang und Stimmen, vielen Stimmen. Sie lullten sie ein, aber sie verstand sie nicht, noch nicht, noch nicht ... Es war so angenehm, einfach nur zu liegen, matt, weich, die Welt zu erfühlen, aber nicht deuten zu müssen, das Schaukeln mit jeder Faser des Körpers wahrzunehmen, aber sich nicht selbst zu regen.
    Es war so angenehm, sich auszuruhen ... alle Glieder zu entspannen ... den Kopf zu betten ... auf ein weiches Kissen, mit Daunen gefüllt. Sie streckte sich wohlig aus, und just in diesem Augenblick störte ein greller Schmerz ihre Ruhe, durchzuckte ihren Kopf, blieb im Nacken hängen. Sie stöhnte auf, fühlte plötzlich kein weiches Kissen mehr, sondern nur hartes Holz, auf dem sie lag. Die Glieder, gerade noch so entspannt, schienen plötzlich verrenkt; im Magen grummelte Übelkeit.
    Sie versuchte sich zu erheben, die Augen zu öffnen, und wieder durchfuhr sie Schmerz. Jene Laute, die sie sanft geweckt hatten, verstärkten ihn, waren plötzlich aufdringlich und störend. Das Schreien der Seemöwen tönte wie Hohngelächter. Das Wellenrauschen verhieß bedrohliche Tiefe. Und die Stimmen ... jetzt vermochte sie endlich die Stimmen zu ergründen.
    »So wie ich dich kenne, Ray«, sagte jemand, »so wie ich dich kenne, willst du mich gewiss übers Ohr hauen.«
    Die Stimme klang nicht vorwurfsvoll, sondern nörgelnd und irgendwie beleidigt.
    »Aber, aber«, wandte eine andere Stimme ein – eine, die sie kannte. »Wer will da von Betrug reden? Bin doch eine ehrliche Haut, zumindest in gleicher Weise, wie du eine bist! Sieh denn auch: Für jedes dieser Stücke habe ich beglaubigte Echtheitszeugnisse.«
    Ray, dachte sie, Ray ...
    Eine Weile war es nur ein leerer Name, der in ihren trägen Gedanken spukte, verband sich später erst mit seinem Gesicht, dem grinsenden, dann mitleidigen, verband sich schließlich mit seiner Faust, die auf sie niedergesaust war, mit der Schwärze, in die sie so plötzlich versunken war.
    »Ha!«, lachte der Fremde. »An jeder Ecke kannst du solche Authentiken fälschen. Wundert mich allerdings, dass du’s zustande gebracht hast. Wie bist du überhaupt an

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