Die Tochter des Ketzers
mögen, da sie allein mit einem Mann sprach. Doch dieser schien sich nicht um die Gebote des Anstands zu scheren, sondern sich einzig an der Abwechslung zu erfreuen, denn er redete weiter – und entfachte ihre Neugierde noch mehr, als er die merkwürdigen Gebilde auf der riesigen Karte zu erklären suchte.
»Das ist der Versuch einer Mappa mundi«, sprach er mit starkem Akzent, wiewohl verständlich, »einer Karte der ganzen Welt, so wie sie schon der große Ptolemäus zu zeichnen getrachtet hat.«
»Ihr malt die ganze Welt?«, fragte Caterina verständnislos.
»Das ist keine Malerei, sondern eine Karte, so wie sie wir Kartographen herzustellen wissen. Verkleinert dargestellt ist das, was Gott selbst sieht, wenn er vom Himmel herabschaut. Das soll dem Zwecke dienen, sich auf langen Reisen zu orientieren.«
Caterina verstand nicht, was er meinte, jedoch, dass es sehr anmaßend klang, dem Menschen die gleiche Perspektive wie Gott zu erlauben. Wiewohl sie gerne weitergefragt hätte, hielt sie es für besser zu schweigen.
Den Mann störte es nicht. »Hier, siehst du? Dies ist Asien, dies ist Ifriqua, und dies ist Europa«, sprach er und deutete auf drei große Flecken, deren Umrisse Caterina an monströse Tiere erinnerten. »Dazwischen – da ist das Mittelmeer. Und dort, wo die Kontinente aufeinandertreffen, liegt Jerusalem, die Stadt Christi und der Apostel.«
Ob dieser Worte trat Caterina staunend näher. Jerusalem, obwohl noch immer in Heidenhänden, war die heiligste Stadt der Welt. Es konnte kein Unrecht sein, sie auf einer Karte ehrfürchtig zu bestaunen.
»Und hier«, sprach der Mann schon fort und deutete auf einen kleinen Punkt inmitten jener Fläche, die er zuvor als Mittelmeer ausgewiesen hatte, »hier ist meine Heimat.«
»Du stammst nicht von hier?«
»Ich bin fürwahr viel herumgekommen. Meinen Knochen hat’s geschadet, das schwör ich dir, aber die Welt habe ich dabei doch so gut kennengelernt, dass ich sie jetzo aufzuzeichnen vermag. Mallorca heißt die Insel, von der ich komme, wiewohl freilich nun das ganze Königreich diesen Namen trägt, dem der große Jaume sie einverleibt hat. Gott gebe, jener würde noch unter den Lebenden weilen. Es ist eine Schande, dem Tun seiner Söhne zusehen zu müssen. Die Mutter der beiden war Ungarin, und ich sage dir: Es ist nicht gut, wenn sich das Blut des Nordens mit dem des Südens vermischt. Jaume II. hört nicht auf zu zetern, dass er dem Bruder den Lehnseid schwören musste. Pere hingegen will das ganze Mittelmeer unterwerfen und bekriegt sich deswegen mit den Franzosen. All diese Inseln hier hat er sich erkämpft, oder er will sie sich noch erkämpfen: Sizilien und Malta ...«
Seine fleckige Hand fuhr die riesige Karte auf und ab, ohne dass Caterina seinen Worten recht folgen konnte. Immer noch fiel es ihr schwer zu begreifen, wie ein Strich und ein Kreis das sein sollte, was Gott vom Himmel aus von der Erde zu sehen bekam.
»Und Frankreich und Aragón sind nicht die Einzigen, die sich ums Mittelmeer streiten. Wie vielen Seeschlachten bin ich gerade so entkommen! Genua und Pisa liegen sich seit Jahrzehnten, was sage ich, seit Jahrhunderten in den Haaren. Hier: Siehst du – Sardinien! Und weiter nördlich Korsika! Beide Inseln haben Pisas und Genuas Begehrlichkeiten erweckt und nun ... ach, du hörst mir ja gar nicht richtig zu. Verstehst du nicht, was ich sage?«
Caterina zuckte etwas beschämt die Schultern.
»Was rede ich auch mit einem dummen Mädchen«, sagte der gefurchte Alte mit unverkennbarem Überdruss. »Schaust mir nicht aus wie eine, die etwas von der Welt versteht. Nun, vielleicht verstehe auch ich nicht sehr viel. Nur eines weiß ich ganz genau: Die Welt ist sehr schön ... würden nicht so viele Menschen drauf leben.«
Caterina wusste nichts zu antworten – und war sogleich davon entbunden. Nach langen Stunden stand – ebenso plötzlich und unangekündigt, wie er entschwunden war – Ray vor ihr, staubig und verschwitzt, doch ohne Erklärung, was er in den letzten Stunden getrieben hatte.
»Was tust du denn hier?«, fragte er gereizt und zog sie von dem Kartographen weg, ohne einen Blick auf dessen Karte zu werfen. »Besser, du hättest auf unseren Wagen aufgepasst!«
»Ist das meine Aufgabe, wo er doch dir gehört?«, gab Caterina barsch zurück und wollte ihm nicht zeigen, wie unendlich erleichtert sie über seine Rückkehr war.
Er gab keine Antwort, zuckte nur mit den Schultern.
»Wir müssen noch weiter gehen«, fügte er
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