Die Tochter des Ketzers
Widerstand zu tun hatte, und es befolgend.
Caterina rappelte sich auf, gewahrte, dass beide Männer ihr den Rücken zuwandten, dass sie selbst beide Hände frei hatte, und für einen Augenblick dachte sie, was es für ein Vergnügen wäre, sie zur Faust zu ballen, damit zu schlagen und zu verwunden. Und nicht nur das. Oh, wenn sie einen Dolch hätte! Oh, wenn sie damit aufschlitzen und abschneiden und zerstückeln könnte!
Die Ahnung einer Lust überkam sie, die ebenso unpassend wie flüchtig war. Noch ehe sie zu fassen vermochte, dass ein Augenblick wie dieser eine so mächtige Gier erzeugen konnte, fiel diese schon in sich zusammen.
Die Männer wandten sich von Ray ab, kamen zu ihr, nicht schneller als vorhin, die Mienen nun jedoch gereizt.
Warum hat Ray mich nicht getötet?, dachte sie wieder, schloss die Augen, wollte nicht sehen, wie die Hand sie erneut packte. Sie rüstete sich gegen den schmerzhaften Griff – doch er blieb aus.
Eine sanfte Stimme ertönte hinter ihnen.
»Lasst sie in Ruhe!«, sprach jene Stimme – genau jene Worte, wie sie auch Ray gesagt hatte.
Caterina fuhr herum, die Männer auch. Es war der Knabe, der ihnen vorhin Brot und Wasser gebracht hatte. Erst jetzt, bei hellerem Licht, fiel auf, wie dunkel die glatte Haut seines Gesichts war.
»Was willst du, Akil?«, schnaubte einer der Männer verächtlich.
Der Anflug eines stolzen Lächelns huschte über das Gesicht des Knaben. »Ich will gar nichts«, sagte er mit seinem starken Akzent. »Aber Gaspare will etwas. Er lässt euch sagen, dass ihr sie nicht wieder anrühren sollt. Ich muss sie zu ihm bringen.«
Corsica, 251 n.Chr.
Meine Welt lag in Trümmern, aber der Abend ging vorüber, als wäre nichts geschehen. Ich verbarg meine Stimmung, und das fiel nicht schwer, hatte sich doch bis auf Julia keiner jemals für den Zustand meines Gemüts interessiert. Die Röte musste aus meinem Gesicht geschwunden sein; ein leichtes Frösteln war alles, was mich von vollkommener Erstarrung abhielt, ansonsten kam ich meinen Aufgaben gewissenhaft und unauffällig wie immer nach. Aus den Augenwinkeln nahm ich manchmal wahr, dass Julia fragend auf mich sah, doch ich konnte ihren Anblick nicht ertragen, nicht heute, vielleicht nie mehr.
Thaïs war die Einzige, die in mein Schweigen drang. Später, als das Mahl beendet war, die Gäste den Palast verlassen hatten, fing sie mich ab.
»Hast du es gesehen? Ist es dir aufgefallen?«
»Was?«, gab ich barsch zurück.
»Es kann dir doch nicht entgangen sein. Gewiss hast du es auch bemerkt – so wie wir alle. Unmöglich, dass sich unser Herr derart verhält! Aber er hat’s getan!«
Sie grinste mich keck an, und dann sprach sie die bittere Wahrheit aus.
Ihre Worte trafen mich ins Mark. Es war schlimm genug, wie plötzlich mich die Erkenntnis getroffen hätte – die Erkenntnis, was hier nun schon seit Wochen vorging –, doch es war unerträglich, die Wahrheit aus dem Mund einer dreisten, neugierigen Schwätzerin zu hören, anstatt jene Szene beim Mahl, derer wir alle Zeugen geworden waren, so rasch wie möglich vergessen zu können.
»Halt’s Maul!«, fuhr ich sie unwirsch an.
Thaïs fuhr ob meines rüden Tons zusammen, aber sie verzichtete nicht darauf fortzufahren. »Willst es nicht hören? Ich aber sage dir: Es wird Zeit. Dringend Zeit. Was soll er denn sonst machen auf einer Insel wie dieser? Ich habe mich ja schon lange gewundert, weil er so gar nicht daran zu denken scheint ... Ich hätte freilich nicht vermutet, dass eine Frau wie Julia ...«
Endlich hatte sie Erbarmen, zuckte mit den Schultern und schwieg. Vielleicht ahnte sie etwas von dem unglaublichen Weh, das hinter meiner erstarrten Miene wütete.
Er sieht nicht mich, dachte ich. Er sieht nur ... sie. Er hat niemals wirklich mit mir gesprochen. Sondern nur über ... sie.
Eine der Sklavinnen war gestolpert, die silberne Platte mit kleinen Honigküchlein aus ihren Händen geglitten und mit einem lauten Klirren aufgeprallt. Darob ungewohnt erschrocken war Gaetanus aufgefahren, hatte bereits die Hand gehoben, um das tollpatschige Mädchen zu schlagen. Doch dann hatte plötzlich Julia auf dem Boden gekniet, hatte rasch die Honigküchlein aufgesammelt und währenddessen tröstende Worte zu dem Mädchen gemurmelt. Es sei nichts Schlimmes geschehen, sie solle sich keine Sorgen machen.
Das allein war noch nicht schockierend, es passte zu Julia, der Art, wie sie sich gewöhnlich Menschen näherte, ohne Rücksicht auf ihren Stand, stets
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