Die Tochter des Ketzers
den Stunden, da er an Marktplätzen stand und etwas anpries – nur handelte er diesmal um sein Leben und konnte im Gegenzug keine Ware verheißen. »Hör mal! Ich will mit diesem Gaspare reden! Davide hätte uns nicht an ihn verschachern dürfen, er begeht ein schreckliches Verbrechen, uns einfach mitzunehmen! Wohin überhaupt? Und dieses Mädchen, siehst du dieses arme Mädchen! Sie ist nicht irgendjemand! Sie ist die Tochter eines Grafen. Sie ... sie ist wohlerzogen, gebildet! Sie kann sogar lesen und schreiben. Verdammt! Verdammt! Geh nicht weg! Hör mir zu!«
Doch der Knabe drehte sich nicht um. Schon schlug er das hölzerne Brett wieder vor den Verschlag, in dem sie hockten, und seine leiser werdenden, schlurfenden Schritte kündeten davon, dass er sich entfernte.
»Verdammt!«, stieß Ray aus und trat in den Boden, nicht nur ärgerlich, sondern ohnmächtig, weinerlich.
Ähnlich kraftlos wie sie sackte er schließlich zusammen, kauerte sich neben sie.
»Was geschieht nur mit uns? Was geschieht nur?«, hörte sie ihn ein ums andere Mal fragen.
Er vermied, sie zu berühren, doch kam nahe genug an sie heran, auf dass sie wieder seine Wärme spürte. Vielleicht, um ihr Trost zu schenken. Vielleicht, um selbst welchen zu erhaschen.
Es war ihnen nicht lange gegönnt, so zu verharren. Denn schon kurze Zeit später ertönten wieder knarzende Schritte von draußen, zu laut, um von dem dürren Knaben zu stammen.
Sie kamen wieder.
Sie kamen, um sie zu holen, zu packen, hinauszuschleifen. Um sie erneut zu schänden, bis sie genug von ihr hatten und sie wieder wegwerfen konnten.
Das wusste sie sofort, sah es an den Gesichtern, die nicht einmal sonderlich böse waren oder verunstaltet, zwar vom Wetter gegerbt, aber nicht vernarbt. Eine gewisse Gier stand darin eingeschrieben, aber sie schien nicht sonderlich tief zu gehen, nicht die Seele der Männer zu berühren. Dahinter lag Gleichgültigkeit, eine schlichte Ergebenheit an die naturbedingten Gelüste des Körpers: sei es zu essen und zu trinken, sich zu entleeren und sich forzupflanzen. Das alles gehörte eben zum Leben, und manchmal machte es auch außergewöhnliche Freude. Caterina machte keine Freude. Die Blicke, die auf sie fielen, zeugten nur von einem laschen Hunger – nicht vom leeren Magen verursacht, sondern weil zufällig ein Stück Brot vorhanden ist. Warum es verschimmeln lassen?
Die Blicke, die ihren Leib auf und ab wanderten, waren darum nicht wohlgefällig, nicht begehrend – eher abschätzend, ob sie überhaupt wiederhergestellt war und man sich an ihr laben konnte.
Nach einer Weile stellte sich heraus, dass Caterina ihnen wach genug schien. Einer der beiden – es waren zwei Männer, vielleicht hatten die anderen sie hergeschickt und warteten droben – trat zu ihr hin, packte sie am Arm, zog sie hoch, als hätte sie kein Gewicht.
Beim Anblick der Männer hatte sie sich versteift. Jetzt ließ sie sich hängen, nicht nur, weil es sie so nutzlos deuchte, sich zu wehren, auch weil sie hoffte, dass wenigstens diesmal die Ohnmacht sie nicht im Stich lassen würde. Dass sie sich tot stellen könnte, dass sie nicht noch einmal alles erfahren, alles erfühlen müsste. Bitte nicht. Bitte nicht.
Stoßweise wie der Atem kamen ihr diese Worte in den Sinn.
Doch so, wie ihr Atem sich kaum durch die erstickend enge Kehle plagen konnte, erreichte diese Beschwörung kein Fünkchen Hoffnung.
Warum hat Ray mich nicht getötet? Warum ...
Erstmals ging ein Ruck durch ihren Körper, ein letzter Versuch, sich zu wehren, ein viel zu zaghafter. Sie erreichte nichts anderes, als dass der Mann sie noch fester packte, so wie der zweite sich nun bückte, sie an einem der Beine hochzerrte.
Dann plötzlich eine dritte Hand, viel schwächer als die anderen, sie gehörte Ray, der aufgesprungen war, sie hilflos zurückzuziehen versuchte.
»Nicht!«, rief er. »Lasst sie in Ruhe!«
Diese Stimme kannte sie an ihm nicht, weibisch hoch war sie, quietschend.
Dann hörte sie einen dumpfen Schlag, wusste nicht, was ihn bedingte: der eigene Leib, der zu Boden geplumpst war, weil der Mann sie einfach losgelassen hatte? Oder der wuchtige Schlag, der Ray in den Magen traf, ausgeführt von ebenjenem?
Ersticktes Gurgeln. Erneut war nicht gewiss, woher es kam, von ihr oder von ihm.
Nun ließ auch der andere ihr Bein los, trat desgleichen zu Ray, der schon am Boden lag, trat auf ihn ein, so wenig lustvoll, wie er sie holen gekommen war, lediglich darauf eingeschworen, was man bei
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