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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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es eines aus Eisen oder aus Fleisch und Blut war. Erst später hatte sie erkannt, dass man an Letzterem nicht stirbt und dass das Blut, das zwischen ihren Beinen hervorquoll, nicht reichen würde, damit sämtliche Lebenskraft aus ihr herausfloss.
    Der Schatten neben ihr – er schien nicht nur zu zittern, er schien geschüttelt zu werden. Sie hörte ein Schluchzen.
    »Hör auf zu flennen«, murmelte sie plötzlich, sie wusste nicht, woher sie die Kraft dazu nahm. »Das Leben ist ein Spiel. Mal gewinnst du, mal verlierst du. Das hast du selbst gesagt.«
    Das Schluchzen erstarb. Ray hob verwirrt sein Gesicht. »Mein Gott, Caterina«, klagte er hilflos, »mein Gott, was haben sie mit dir gemacht?«
    Am Ende hatte sie nicht mehr vor Scham und Kälte gezittert. Die Lache, in der sie gelegen hatte, war warm gewesen. Eine Lache aus eigenem Blut und fremdem Samen. Und die Hände, die rauen, schwieligen Hände, die sie betatschten, ihr Gesicht und ihre Brüste, selbst ihre Achselhöhlen, ihren Bauch und ihren Nabel, hatten gewärmt, hatten ihre Haut zum Glühen gebracht. Leider verbrannte sie ebenso wenig, wie sie verbluten durfte. Von jedem Stoß der vielen auf ihr Liegenden erhoffte sie, er möge endgültig ihren Bauch zerfetzen, ihren Leib meucheln, ihr Bewusstsein trüben. Doch es blieb die Kraft, sie zu zählen, jeden Einzelnen. Eins, zwei, drei, vier. Jener war schnell. Er ergoss sich. Wieder lief es warm über ihre Schenkel. Ungeduldig wurde er zurückgezerrt. Der Nächste. Neue Hände auf den Brüsten. Sein Geschlecht, dünner, aber länger. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Die anderen grölten, applaudierten. Sie- ben, acht, neun. Ein gurgelndes Geräusch aus seiner Kehle. Neuerliche Nässe zwischen den Beinen.
    Vielleicht zerreiße ich nicht, dachte sie. Vielleicht pumpen sie mich voll, bis mein Leib zerplatzt ...
    Der Nächste. Immer gab es einen Nächsten. Ihre Hände waren taub, weil man die Handgelenke so fest packte; ihre Zehen eiskalt. Ihre Brustwarzen verwundet, als hätte man nicht nur danach gegriffen, sondern sie zerkaut.
    »Caterina«, raunte Ray neben ihr. »Ich wollte das nicht. Ich wollte doch nur ...«
    Sie hob ihre Hand. Der letzte Faden ihrer Erinnerung war dünner als die anderen. Er kündete vom Entschluss, den sie gefasst hatte, ehe sie schließlich doch in eine Ohnmacht gesunken war, eher erstickend als gnädig.
    Ich will sterben, hatte sie kraftlos gedacht.
    Nun kam er wieder, der Gedanke, diesmal kalt und nüchtern wie ihre Stimme, mit der sie zu ihm sprach.
    »Ray«, sagte sie. »Ray ... töte mich!«
    Sie spürte ihn nicht nur, sie roch ihn, sie roch seine Angst. Und erstmals sah sie mehr von ihm als nur einen Schatten. Als sie ihre Forderung aussprach, blickte sie in seine Richtung, und nach einer Weile hatten sich ihre Augen so sehr an die Finsternis gewöhnt, dass sein Gesicht Konturen gewann.
    Sie musterte es – mit gleicher Kühle, wie sie sich vorhin den Erinnerungen gestellt hatte, so erstarrt und so nüchtern, dass sie nicht entsetzt war über seinen Anblick, über den Wandel, der in diesen gelblich-bleichen Zügen stand. Da war nichts mehr von Leichtlebigkeit. Kein Spott. Kein Übermut. Nur Grauen, nackt, schrumplig verfallen, als wäre das Kleinmachen die letzte Möglichkeit zum Überleben.
    »Was redest du da?«, stammelte er.
    Kurz wusste sie nicht, was er meinte, als hätte sie die Bitte zu sterben bereits wieder vergessen. Er erinnerte sie schnell wieder daran. »Warum denn ... sterben?«
    Sein Blick flackerte. Er sprach das Wort mit solcher Furcht aus, als gelte ihm ihr Todesurteil, nicht ihr selbst.
    »Ich sterbe ...«, murmelte sie, »ich sterbe ohnehin. Ich sterbe, wenn sie es wieder machen. Und sie werden es tun. Niemand wird sie abhalten. Also töte du mich. Es wär ein ehrenvollerer Tod.«
    »Das kann ich nicht.«
    Er wich ihrem Blick aus, wie in den letzten Tagen, da er den gemeinen Plan ausgeheckt hatte, sie um ihren Schatz zu bringen, und ein Rest an sittlichem Gefühl es ihm unmöglich gemacht hatte, in ihre Augen zu schauen.
    »Du weigerst dich, mich zu töten, weil du Angst hast, allein zu sein!«, verkündete sie kalt. »Weil du selbst Angst vor dem Tod hast. Deswegen soll ich nicht einmal davon sprechen. Wie erbärmlich, Ray, wie erbärmlich!«
    Überrascht blickte er hoch. Sie erwartete Widerworte, seine Verteidigung oder ein weinerliches Kleinbeigeben. Stattdessen war das namenlose Entsetzen in seinen Zügen noch gewachsen, gleich so, als blicke er nicht

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