Die Tochter des Ketzers
sie an, sondern einen bösen Geist. Und vielleicht sprach sie ja auch nicht selbst, sondern eben jener Geist. Wie anders konnte es ihr gelingen, inmitten jenes Grauens so überlegte, so bedächtige, so gnadenlos kalte Worte auszusprechen?
»Caterina«, flehte er eindringlich. »Du hast dich seinerzeit an mich gewandt, weil du eine Pflicht zu haben glaubtest. Den Schatz deiner Familie in Sicherheit zu bringen.«
»Du hast ihn mir gestohlen!«, unterbrach sie ihn, wieder ganz ohne Leidenschaft und Gefühl.
»Ich ... ich habe das Kästchen bei mir. Ich kann es dir geben. Du darfst doch nicht von dieser Welt gehen, ohne ...«
»Nicht!«
Erstmals klang ihre Stimme schrill vor Furcht. »Nicht! Du darfst es mir nicht geben. Ich bin unrein, unrein!«
»Hör auf! Das ist Unsinn! Dich trifft keine Schuld. Mich allein trifft sie.«
»Ich bin unrein!«, schrie sie wieder.
So plötzlich, wie sie vorhin erkaltet waren, kehrten die Schmerzen zurück, jene an ihrem Leib und auch jene an der Seele. Sie japste nach Luft. »Caterina!«
Sie spürte seine Hände, doch diesmal störte sie sich nicht an seiner Berührung, suchte vielmehr Schutz darin. Sie fand ihn nicht lange, schon kehrte das Entsetzen zurück, als sie neben Rays verzweifelten Rufen und ihrem erstickenden Keuchen plötzlich Schritte vernahm, die langsam näher kamen.
Was sie eben zu Ray gesagt hatte, kam ihr erneut in den Sinn: Ich sterbe. Ich sterbe, wenn ich Gaspares Mannschaft noch einmal in die Hände falle.
Doch die Schritte, die sich näherten, kündeten nicht von einer Horde, sondern nur von einem einzigen Paar Füße. Als jemand den Verschlag öffnete, sahen sie keinen furchterregenden, grobschlächtigen Mann, sondern einen jungen Burschen, kaum der Kindheit entwachsen, zumindest zierte sein glattes Gesicht kein einziges Barthaar.
Als Caterina gewahrte, dass niemand gekommen war, um ihr erneut Gewalt anzutun, sondern fast noch ein Kind, ausgestattet mit einem Krug Wasser und einem Laib Brot, sackte sie in sich zusammen, als wäre Erleichterung ein nicht minder gewalttätiges Gefühl als der Schrecken.
Ray hingegen sprang auf, stellte unruhige Fragen ohne Zusammenhang.
»Was geschieht mit uns? Wer ... wer ist dieser Teufel? Dieser Gaspare? Wie kommt der Kaufmann Davide dazu, uns ihm zu übergeben? Ist es wahr, dass er Pisaner ist? Was habt ihr mit uns vor? Ihr ... ihr dürft euch nicht an diesem Mädchen vergreifen. Sie ist meine Verwandte!«
Während all der Fragen war der Knabe steif geblieben. Auch ob Rays Feststellung tat er vorerst nichts anderes, als Wasser und Brot auf dem leise schwankenden Boden abzustellen. Als er sich aufrichtete, glitt jedoch ein vorsichtiger Seitenblick über Caterina, in dem Unsicherheit stand, vielleicht sogar ein wenig Erbarmen.
»Bitte!«, flehte Ray. »Bitte! Sag mir, was mit uns geschieht! Wird man uns tatsächlich als Sklaven verkaufen?«
Er wiederholte die Worte mehrmals, in sämtlichen Sprachen, derer er mächtig war, so eindringlich, dass selbst Caterina wieder den Kopf hob. Einen Augenblick trafen ihre Augen die des Knaben, und ob nun davon oder von Rays Worten gnädig gestimmt, murmelte jener ein paar Wortfetzen, alle mit starkem Akzent.
Die Worte erreichten Caterina nicht.
Doch Ray wiederholte sie, wieder und wieder, als könnte er sie, wenn er sie nur lang genug zerkaute, noch sättigender machen.
»Gaspare stammt also tatsächlich aus Pisa. Aus einer Patrizierfamilie. Was ihn von Geburt wegen zum Erzfeind eines jeden Genuesen wie Davide macht. Allerdings ist er um sein Erbe gebracht worden und musste die Heimat verlassen. Steht jetzt im Dienst von König Pere von Aragón. Wird von jenem gerne auf Botengänge geschickt und ermächtigt, an den Ufern von dessen verachtetem Bruder Jaume zu wildern. Mit Davide ist er schon lange persönlich verfeindet. Ist er wirklich ein ... Pirat? Was wird er mit uns tun? Mit Caterina? ... Mit mir?«
Flüchtig kamen Caterina Davides Worte in den Sinn, der Vorschlag, Gaspare könne Ray doch als Eunuch verkaufen. Sie wusste das Wort nicht zu deuten, aber was immer sich dahinter verbarg, es schien die Furcht in Rays Stimme zu schüren, nun, da er wusste, dass Gaspare einer war, der ein junges Mädchen kaltherzig einer Horde Männer auslieferte.
Der Knabe antwortete kein zweites Mal. Mit einem Schulterzucken, das entweder Bedauern oder Gleichgültigkeit verhieß, wandte er sich zum Gehen.
»Hör mal!«, rief Ray ihm nach, und sein Tonfall geriet ähnlich fordernd wie in
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