Die Tochter des Königs
könnte schreien.«
»Das kannst du. Aber ich bezweifle, dass jemand dich hört. Nicht einmal Sir Galahad. Ich hab dich und William
zusammen gesehen. Du liebst ihn immer noch, stimmt’s? Du hasst mich und liebst diesen dummen Schlappschwanz. Na, der kann dir jetzt auch nicht helfen, niemand wird dich hören, wenn du schreist. Die Wohnungen hier im Erdgeschoss stehen den Sommer über alle leer, und Jacopo schläft tief und fest, besoffen, wie er vermutlich ist. Und selbst wenn sie dich oben hören sollten, bis sie hier unten sind, wäre es schon zu spät.«
»Was meinst du mit zu spät?« Sie hatte einen Kloß im Hals.
Er lachte. »Was meine ich wohl damit? Vielleicht würdest du schon tot am Boden liegen, überfallen, ausgeraubt und ermordet in dieser ach so gefährlichen Stadt. Oder vielleicht würdest du ihnen erzählen, dass Daniel hier war und dich bedroht und angegriffen hat, obwohl gar nichts passiert ist und obwohl sie wissen, dass er in England ist und das beweisen kann. Sie würden den Kopf schütteln und seufzend einen Blick austauschen. Die arme Jess, bildet sich wieder alles Mögliche ein.«
»Dir macht dein verrücktes Spiel wohl richtig Spaß.« Sie umklammerte den Pfosten des Treppengeländers noch fester.
»Das stimmt.« Er lächelte. »Wenn du drohst, mein Leben zu ruinieren, kannst du nichts anderes erwarten, Jess.«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht die geringste Absicht habe, dein Leben zu ruinieren.«
»Aber du wirst es trotzdem tun. Du hast William alles erzählt, stimmt’s? Hat er dir geglaubt? Besessen, wie er von dir ist, könnte er glatt so dumm sein und dir glauben. Irgendwann, irgendwie, wird’s rauskommen. Das ist ein Damoklesschwert, das ständig über mir schwebt, und du wirst den Rest meines Lebens Macht über mich haben.«
»Ich werde nicht …«
»Doch, ich glaube schon, Jess. Und das kann ich doch nicht zulassen, oder?« Mit ausgestreckter Hand trat er auf sie zu.
Vor Angst aufschreiend, wandte sie sich um und wollte die Treppe hinauffliehen, als jemand mit klappernden Schlüsseln die schwere Haustür hinter ihnen öffnete.
Daniel wirbelte herum. Ohne abzuwarten, wer da hereinkam, rannte er zur Tür, stieß den Ankömmling beiseite und floh nach draußen.
Unter einem Schwall italienischer Flüche torkelte Jacopo ins Foyer. »Che cosa?« Mit rot geränderten Augen schaute er sich um. »Signora?« Die Haustür stand offen, Daniel war in die Nacht hinaus verschwunden. Der alte Mann stieß die Tür zu. Er konnte sich kaum aufrecht halten.
Jess atmete tief durch und versuchte, ihren dröhnenden Herzschlag etwas zu beruhigen. Langsam drehte sie sich wieder zur Treppe um. » Buonanotte, Jacopo!«, rief sie. Er schlurfte durchs Foyer zur Tür in der Ecke, die in seine Hausmeisterwohnung führte, ohne Jess zu hören.
Irgendwie gelang es ihr, sich die Stufen hinaufzuschleppen und die Wohnungstür aufzuschließen. Sorgsam schloss sie sie hinter sich wieder ab. Alles war dunkel, die anderen hatten nicht auf sie gewartet. Mehrere Sekunden starrte sie die Wohnungstür an, schließlich entdeckte sie den Riegel und schob ihn vor. Dann ging sie in ihr Schlafzimmer.
Sie hatte den Raum halb durchquert, als die Nachtischlampe anging und William sich im Bett aufsetzte. »Guter Gott, Jess!«
»O mein Gott!« Jess blieb mit wild klopfendem Herz stehen. »O William, das tut mir wirklich leid. Ich hatte ganz vergessen, dass wir die Zimmer getauscht haben.«
Er grinste und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Kein Problem. Ist alles in Ordnung?«, fragte er besorgt, als er ihr blasses Gesicht sah.
»Daniel war unten. Im Haus. Er hat Kims Schlüssel nachmachen lassen.« Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Mist.« William stieg aus dem Bett. Er war nackt. Sie lächelte wehmütig, als er sich umdrehte und mit dem Rücken zu ihr in eine Jeans schlüpfte.
»Und wo ist er jetzt?«, fragte er, während er sich ein T-Shirt über den Kopf streifte und wieder zu ihr umwandte.
»Keine Ahnung. Zum Glück ist der Hausmeister heimgekommen. Daniel hat ihn zur Seite geschubst und ist nach draußen geschossen. Er ist längst über alle Berge. Ich glaube, er lebt unter den Brücken. Er war unrasiert und hat gestunken. Er ist überzeugt, dass ihr alle glaubt, er sei wieder bei Nat in England, und ihr mich alle für verrückt haltet.« Müde fuhr sie sich übers Gesicht. »Vielleicht bin ich ja auch verrückt. Was soll ich bloß tun, William?«
Er setzte sich ans Fußende des Bettes.
Weitere Kostenlose Bücher