Die Tochter des Königs
Carmella warf einen Blick zu ihr. »Es tut mir leid, Jess, aber er will dir nichts Gutes. Und irgendetwas ist merkwürdig bei ihm, das ist mir aufgefallen, als ich ihn näher beobachten konnte. In seinem Kopf ist ein anderer Mann, ein bösartiger Mann. Ich gehe davon aus, dass er besessen ist.« Ihr Gesicht war voller Sorge. »Dieser andere Mann nährt sich an Daniels Hass und Angst.«
Jess starrte sie verständnislos an. »Ein anderer Mann?« Das überstieg ihr Vorstellungsvermögen.
Carmella nickte. »Ein Toter, Jess. Du verstehst schon. Ein Geist.«
»O mein Gott!« Ein kalter Schauer lief Jess über den Rücken. »Weißt du, wer er ist?«
Carmella machte eine hilflose Geste. »Ich sehe ihn nicht als Gesicht, nur als Schatten. Aber ich spüre seinen eisigen Griff. Er ist ein böser, ein sehr böser Mann. Und ich fürchte, sie planen schreckliche Sachen. Es wird etwas Entsetzliches passieren, Jess!«
»Was soll ich tun?«, flüsterte Jess.
»Du musst Daniel um jeden Preis aus dem Weg gehen.« Carmella sah ihr fest in die Augen. »Du darfst nicht zulassen, dass er dich findet. Warum er diesen anderen Mann in seine Seele lässt, weiß ich nicht. Vielleicht ist ihm nicht klar,
dass es passiert ist. Ich werde dir zeigen, wie du ihn psychisch abwehren kannst, aber es ist besser, wenn er erst gar nicht in deine Nähe kommt.«
Schaudernd nickte Jess. »Du brauchst mir nicht eigens zu sagen, dass ich Angst vor ihm haben muss. Ich habe panische Angst. Bist du dir sicher, dass er noch in Rom ist?«
»Absolut sicher.«
»Dann musst du mir helfen, die anderen davon zu überzeugen. Sie wollen mir nicht glauben. Sie halten mich für verrückt.«
Mitternacht war lang vorbei, als Carmella mit Jess die Treppe hinunter zu ihrem Auto ging. »Um diese nachtschlafende Zeit lasse ich dich nicht allein durch die Stadt laufen. Nicht, wenn jemand wie er sich da draußen herumtreibt.« Sie schloss den schmucken lila- und silberfarbenen Smart auf, der in der Nebenstraße hinter einer ganzen Batterie überquellender Mülltonnen mit der Schnauze direkt an der Wand geparkt stand. »Zu Kim sind es nur ein paar Minuten.«
Sie rasten durch die warmen Straßen, flitzten mit atemberaubendem Tempo durch Gässchen, vorbei an Pizzerien und Brunnen, geschäftigen Bistros und Trattorien, die alle in Flutlicht getaucht waren, und blieben schließlich vor dem Palazzo stehen. »Pass auf dich auf, cara mia , und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.« Carmella beugte sich zur Seite, um Jess rechts und links einen Kuss auf die Wange zu drücken. Dann öffnete sie die Beifahrertür und stieß sie auf. »Bis bald, ja? Ciao! «
Sie wartete mit laufendem Motor, bis Jess die Straße überquert hatte. Sobald sie die Tür aufgeschlossen hatte, winkte Carmella ein letztes Mal und raste davon.
Jess schloss die Tür hinter sich, blieb einen Moment im Foyer stehen und ließ die Stille des alten Gebäudes auf sich
wirken. Sie war erschöpft. Eine Ewigkeit schien vergangen, seit sie das Haus am Morgen verlassen hatte. Sie ging über den Marmorboden auf die Treppe zu, um zu Kims Wohnung hinaufzusteigen, als aus der Dunkelheit eine Gestalt auf sie zutrat. »Guten Abend, Jess. Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr heimkommen.«
Sie wirbelte herum. »Daniel!«
»Genau der. Du hast dich mir in letzter Zeit eher entzogen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie sehr du dich früher immer gefreut hast, mich zu sehen.« Er lächelte.
Sie starrte ihn an. Er war unrasiert und ungewaschen, selbst aus mehreren Schritten Entfernung roch sie seinen Schweiß. »Daniel, ich dachte, du wärst wieder bei Nat.«
»Das bin ich auch.« Er grinste. »Jeder weiß, dass ich bei ihr und den Kindern in England bin. Das wirst du schon noch merken.« Er trat auf sie zu.
»Wie bist du an den Schlüssel gekommen?«
»Auf dieselbe Art wie du, denke ich mal.« Er verschränkte die Arme und schwieg kurz. »Kim hat in ihrer Küche offenbar Dutzende Ersatzschlüssel hängen. Sie ist viel zu großzügig, wenn es darum geht, Gästen Schlüssel zu ihrer Wohnung auszuhändigen. Nicht dass ich die Schlüssel noch habe. Ich habe sie nachmachen lassen und den Bund zurückgehängt, so dass sein Fehlen nicht auffällt.«
»Und was willst du jetzt tun?« Ihr Herz hämmerte wie wild, ihre Handflächen waren klamm. Haltsuchend griff sie nach dem massiven Endpfosten des Geländers, das sich in den ersten Stock hinaufschwang.
Er lächelte kalt. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.«
»Ich
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