Die Tochter des Königs
allein war.
»Nur dass wir zum Goldschmied gehen wollten.«
»War sie wütend?«
»Ja, sie war sehr wütend.« Eigon war am Boden zerstört. Wütend war kein Wort für die Reaktion ihrer Mutter auf
das, was passiert war, zumal sie außerdem zur Kenntnis hatte nehmen müssen, dass ihre Tochter sich ihren Anweisungen seit Jahren widersetzte. Die Nachricht vom Tod einer ihrer Sklaven war Caratacus verschwiegen worden, der sich mit Fieber ins Bett zurückgezogen hatte. In der Gegenwart ihres Gemahls hatte Cerys ihre Gefühle mühsam beherrscht, doch sobald sie mit ihrer Tochter allein war, hatte sie ihnen freien Lauf gelassen. »Ich schicke Julia fort!«, schrie sie. »Sie hat nichts als schlechten Einfluss auf dich! Wie konntest du nur so gedankenlos sein? Bedeutet deine Sicherheit dir denn gar nichts?«
»Aber, Mama, mir ist doch nie etwas passiert!«
»Ich verbiete dir, das Haus jemals wieder zu verlassen, hörst du? Nicht einmal in den Obstgarten darfst du gehen. Draußen vor den Mauern sind Leute, die uns beobachten. Verbrecher. Wer weiß, in wessen Auftrag sie das tun.«
Unvermittelt brach sie in Tränen aus, und Eigon nahm sie in die Arme. »Ist ja gut, Mama, bitte weine nicht. Es tut mir leid, dass ich dir solche Sorgen gemacht habe. Und ich tu’s nie wieder, das verspreche ich dir.«
An der halb geöffneten Tür klopfte es leise, und Cerys schob Eigon von sich. Der Moment der Vertrautheit war vorüber.
»Herrin?« Es war Melinus. »Ich suche nach Eigon. Es ist Zeit für ihren Unterricht.« Er kam ihr zur Rettung.
»Natürlich.« Cerys schniefte und straffte die Schultern. »Eigon, geh mit ihm. Aber vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.«
Betreten folgte Eigon ihrem Lehrer nach draußen. Als sie sich an ihren Studiertisch setzten, betrachtete er sie mit gerunzelter Stirn. Da es Herbst wurde und der Abend immer früher hereinbrach, arbeiteten sie um diese Zeit nicht mehr
im Garten. »Und was ist wirklich passiert?« Seine Stimme war freundlich, aber seine Augen blickten streng.
Nachdem sie ihm alles erzählt hatte, lehnte er sich nachdenklich zurück und schwieg eine Weile. Als er schließlich etwas sagte, war es etwas völlig anderes, als Eigon erwartet hatte.
»Wie seltsam, dass ihr ausgerechnet bei Christen Unterschlupf gefunden habt. Die Herrin Pomponia Graecina und ich waren bei mehreren Christentreffen. Wir haben ihren Lehrer Petrus gehört.«
Erstaunt sah Eigon ihn an. »Aber du glaubst doch nicht an ihren Gott, oder? Einen einzigen Gott, wo wir doch wissen, dass es in jedem Fluss und Berg und Wald einen Gott gibt.«
Bedächtig schüttelte er den Kopf. »Ihr Gott, von dem ich glaube, dass es der Gott der Juden ist, nur in sanfterer Gestalt, ist ein mächtiger Gott, und Petrus hat mich mit seinem Wissen und seiner Wortgewalt beeindruckt. Vieles von dem, was er sagt, ist bedenkenswert. Er kannte diesen Jesus, sie waren Freunde und sind zusammen durchs Land gezogen. Eines Tages würde ich gern selbst mit den Menschen reden, die du kennengelernt hast, aber momentan sei froh darüber, dass sie hilfsbereit und gastfreundlich waren. Ihr hättet in der Situation keine besseren Helfer finden können.«
Sie runzelte die Stirn. »Wir wurden gerettet, aber wir haben den Tod eines Mannes verursacht.«
»Nein, Prinzessin, für Vulpius’ Tod ist der Mann verantwortlich, der ihn ermordet hat. Aber er ist in euren Diensten gestorben, und deshalb sollten wir sein Gedächtnis ehren.« Er seufzte. Seine Intuition sagte ihm, dass es bei diesem Mord um mehr ging als nur um einen versuchten Raubüberfall oder gar die Gewalttätigkeit einer aufgebrachten
Menge. Mittlerweile wussten in der Villa alle von dem Toten, der über die Mauer geworfen worden war, und alle ahnten, dass es eine Botschaft war. Aber an wen war sie gerichtet, und was sollte sie besagen? Melinus zog einen Berg Schriftrollen zu sich. Jetzt wollte er den Unterricht beginnen. Eigon brauchte Ablenkung. Es gefiel ihm gar nicht, wie verstört sie aussah. Gleichgültig, was er sagte, sie würde sich wegen Vulpiusʹ Tod Vorwürfe machen, während die unbekümmerte Julia vermutlich keinen weiteren Gedanken an ihn verschwendete.
Als William unten im Garten eine Bewegung wahrnahm, kniff er die Augen noch mehr zusammen. Hinter den halb geöffneten Läden versteckt, schaute er hinaus. War noch immer jemand dort? Mit zwei Schritten war er beim Schalter und knipste das Licht aus, denn schlich er zum Fenster zurück. Zuerst konnte er in der Dunkelheit
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