Die Tochter des Königs
Kim.
»Ich weiß es nicht. Die Verbindung war sehr schlecht. Sein Akku war ziemlich leer. Er hat gesagt: ›Hilf mir.‹« Verzweifelt sah sie in die Runde. »Daniel! Daniel hat ihm etwas angetan!«
»Hat er das gesagt?«, fragte Kim scharf.
»Nein, aber was sollte es sonst sein? Daniel war gestern am späten Abend im Palazzo. Nachdem ich ins Bett bin, muss William runtergegangen sein, um mit ihm zu reden. O mein Gott, das ist alles nur meine Schuld!«
»Was in aller Welt geht hier vor sich?«, warf Rhodri ein. »Kann mich bitte jemand aufklären?«
»Das dauert viel zu lang!«, fuhr Steph auf. »Das erklären wir dir später. Sagen wir mal so viel, William und Daniel sind sich nicht ganz grün.«
»Okay.« Rhodri beugte sich vor. »Hat William gesagt, wo er ist?« Beruhigend legte er Jess eine Hand auf den Arm.
Sie schüttelte den Kopf. »Es klang, glaube ich, wie ›Villa Maya‹ … etwas in der Art?« Sie zog ihren Arm nicht fort. »Sagt dir das etwas?«, fragte sie mit einem flehentlichen Blick zu Kim.
Kim zuckte hilflos mit den Schultern. Rhodri rief den Kellner, der unaufdringlich wartend im Hintergrund stand, und redete in fließendem Italienisch mit ihm. Der Kellner überlegte kurz und machte dann in ebenso fließendem Englisch ein oder zwei Vorschläge. Alle schauten zu Jess, die hilflos dreinsah. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich. »Das klingt beides nicht richtig.«
Der Kellner machte eine Geste des Bedauerns. »Nein? Mi dispiace. «
»Und was machen wir jetzt?« Bekümmert schaute Jess zu den anderen. »Wir müssen ihn finden. Sollen wir die Polizei einschalten?«
»Viele Anhaltspunkte haben wir ja nicht«, meinte Kim zweifelnd. »Bist du sicher, dass du sonst nichts gehört hast? Vielleicht steckt er ja gar nicht richtig in Schwierigkeiten, sondern sitzt nur irgendwo fest.«
»Carmella!«, rief Steph unvermittelt. »Wenn irgendjemand etwas wissen kann, dann sie. Fragen wir doch sie!«
Jess erhob sich. »Ich gehe hin. Sie wohnt ja gleich um die Ecke.« Sie deutete auf den Platz, der unter der Hotelterrasse lag.
Rhodri schob seinen Stuhl zurück. »Ich komme mit, Jess. Ihr zwei esst in Ruhe euer Frühstück. Und trinkt den Champagner. Wir kriegen unseren später.«
»Das ist doch nicht nötig, Rhodri.« Jess zögerte. »Bleib doch hier …«
Entschlossen schüttelte er den Kopf und ging ihr zwischen den Tischen voraus. »Ich komme mit, Jess. Es klingt, als könntest du vielleicht jemanden mit ein paar Muskeln gebrauchen.« Er grinste. »Und ich will hören, was du in der Zwischenzeit alles getrieben hast. Keine Widerrede.«
Carmella bat beide sofort in die Wohnung, und nachdem Jess ihr die Situation kurz geschildert hatte, ging sie mit ihnen auf die Dachterrasse. Dort bedeutete sie ihnen, sich zu setzen, nahm selbst Platz und beugte sich besorgt vor. »Jetzt nochmal langsam, Jess.«
»William ist weg«, wiederholte Jess. »Er steckt in Schwierigkeiten. Bitte«, fuhr sie flüsternd fort. »Kannst du in deine Kristallkugel schauen? Da kannst du doch sehen, wo er ist, oder?«
Rhodri hob die Augenbrauen, sagte aber nichts.
Carmella nickte langsam. »Wartet, ich hole die Karten!« Keine Minute später war sie mit ihrer Tasche im Arm wieder da, holte die Karten heraus und mischte sie.
»Du hast wahrscheinlich nichts von William bei dir?«
Jess schüttelte bekümmert den Kopf.
Carmella schaute auf. »Das macht nichts, wir versuchen’s trotzdem. Komm, gib mir deine Hand.« Sie nahm Jess’ Hand und hielt sie konzentriert fest. Dann schloss sie die Augen.
Rhodri lehnte sich im Stuhl zurück, er sah etwas skeptisch drein. Carmella ließ Jess’ Hand wieder los, hob das Deck ab und legte einige Karten auf den Tisch vor sich. Der Verkehrslärm, der von den Straßen herauftrieb, schien zu verebben, als Jess und Rhodri gebannt Carmellas Hände beobachteten. Sie nahm eine weitere Karte und dann noch eine und studierte die Auslage eingehend. Die Falte über ihrer Nase wurde immer tiefer. Erst nach einer ganzen Weile sah sie auf und schüttelte den Kopf. »Ich kann nichts sehen, wo er sein könnte. Es tut mir leid.«
»Was meinst du, nichts sehen?«, rief Jess verzweifelt.
Carmella schüttelte nur wieder den Kopf. »Es deutet nichts darauf hin, dass er verletzt ist. Ich glaube schon, dass ich das sehen würde.« Fast mütterlich streckte sie die Hand nach Jess aus. »Aber irgendetwas ist nicht in Ordnung. Um ihn herum ist alles dunkel. Verwirrung. Vielleicht hat er eine
Weitere Kostenlose Bücher