Die Tochter des Königs
Lächeln an, als sie sie in die Wohnung bat.
Jess nickte. Carmella hängte die Sicherheitskette ein und ging ihr in das kleine Wohnzimmer voraus.
»Bitte, lies die Karten für mich. Es ist dringend.« Jess setzte sich. »Die Karten bringen immer Klarheit. Ich muss wissen, was mit ihr passiert ist. Und ich muss wissen, was aus mir wird.« Ihr Gesicht war blass. »Ich kann Daniel einfach nicht entkommen. Er folgt mir überallhin. Es ist, als wüsste er immer genau, was ich mache. Er will mich umbringen, aber ich kann nicht aus Rom weg, bevor ich nicht weiß, was aus Eigon geworden ist.«
Carmella nahm ihr gegenüber Platz. Sie trug einen Morgenmantel aus schwarzer Seide, die Haare hatte sie sich zu einem nachlässigen Knoten gebunden, sie kam gerade aus der Dusche und sah sehr zart aus, fast ätherisch. Erst nach mehreren Sekunden wurde Jess klar, dass Carmella wohl gerade dabei war, sich zum Ausgehen herzurichten. »Es tut mir leid, ich bleibe nicht lange. Aber ich muss es wissen.«
Carmella nickte, griff nach ihrem Kartendeck und wickelte es aus dem Tuch. Jess beobachtete, wie sie es mit einer rhythmischen, fast hypnotischen Bewegung zu mischen begann. Schließlich legte sie den Stapel auf den Tisch. »Bitte heb ab!«
Jess nahm ein Häufchen Karten auf und legte es ordentlich neben die anderen. Dann wartete sie mit angehaltenem Atem. Carmella drückte den kleinen Stapel mit geschlossenen Augen einen Moment an ihre Brust, dann legte sie die Karten mit dem Gesicht nach oben auf dem Tisch aus.
»Ancora il re di coppe al negativo.« Ihr Finger blieb eine Sekunde auf der Karte liegen. »Mit dem haben wir ja gerechnet, oder nicht? Er ist immer noch da. Immer noch
wütend. Und er ist mit einem anderen verbunden. Spade. Schwerter. Molto combattivo. In dieser Auslage sind viele Schwerter.« Carmella verstummte und betrachtete die Karten. Die andere Frau, die immer zuhörte, war auch da. Einen Moment glaubte sie, ein Gesicht zu sehen, intelligent, belustigt, aufmerksam, dann war es verschwunden. Sie zwang sich, sich wieder auf die Karten zu konzentrieren. »Schwerter können Gefahr und Anspannung bedeuten, sogar Tod.« Sie zögerte, ihre Hand schwebte immer noch über dem König.
»Und er liegt umgekehrt«, murmelte Jess. »Das ist nicht gut, oder?«
Carmella runzelte die Stirn. » Il re di spade. Mächtig. Arrogant. Besessen davon, eine Situation zu kontrollieren, die ihm zunehmend entgleitet.« Mit dem Finger tippte sie auf den Turm. »La casa di Dio«, flüsterte sie, dann verstummte sie wieder. Lange Zeit herrschte Stille, dann bewegte sich ihr Finger weiter. »Daniel wird von einem anderen Mann getrieben«, sagte sie leise. »Er ist ein Überschatten. Ein Mann mit dunklerem Haar, gelben Augen, er ist etwas größer…«
»Titus«, wisperte Jess. »Titus Marcus Olivinus. Der Mann, der Eigon vergewaltigt hat. Der Mann, der sie verfolgt.« Dann herrschte wieder Stille. Von der Straße vier Stockwerke unter ihnen trieben die Geräusche der Stadt durchs geöffnete Fenster zu ihnen herein.
Unvermittelt beugte Carmella sich vor und presste die Lippen zusammen. Rasch nahm sie drei weitere Karten vom Stapel und deckte sie auf. »Zehn der Schwerter«, flüsterte sie kopfschüttelnd und ging dann zur nächsten Karte weiter. »Also, hier sehen wir, was sie tun werden, diese zwei Männer, die in einem Körper stecken. Das bedeutet Gefahr für dich.« Sie schwieg kurz. »Hier ist der Joker, der Narr. Er sagt dir eine Reise voraus. Hier in den Karten steht so viel.
Du kannst dich dem, was passieren wird, nicht entziehen, Jess. Du bist jetzt irgendwie mit Eigon verbunden, deshalb hast du auch das Gefühl, dass du sie nicht alleinlassen darfst.« Carmella schaute unverwandt auf die Karten. »Hier ist la luna . Sie warnt dich, dass du dich allmählich allzu sehr auf dieses Innenleben einlässt. Du bist aber nicht von ihr besessen, oder?« Bei dieser Frage schaute Carmella schließlich auf.
Jess schauderte. »Nein, ich glaube nicht. Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Aber du kommst von ihr nicht los. Warum nicht?«
»Wahrscheinlich, weil es mich gerührt hat, sie als kleines Mädchen zu sehen, das so viel Angst hatte und so unglücklich war. Und sich solche Vorwürfe gemacht hat, weil sie ihre Geschwister verloren hat. Sie geht in Ty Bran als Kind um. Hier in Rom ist sie eine erwachsene Frau. Ich will wissen, was mit ihr passiert ist.« Jess fuhr mit dem Finger über eine der Karten. Der Bube der Stäbe.
Carmella lächelte. »Du
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