Die Tochter des Königs
stark, mein Junge. Wenn es dir möglich ist, bring Eigon aus Rom fort. Solange sie hierbleibt, ist sie in großer Gefahr.«
Julius’ Miene wurde düster. »Wer ist er? Hast du sein Gesicht gesehen?«
Melinus schüttelte den Kopf. »Die Götter treiben gern ihren Spaß mit uns. Sie warnen uns, aber sie offenbaren nichts. Diese Aufgabe überlassen sie uns. Bitte deinen Jesus, sie zu beschützen, Julius. Sie hat in ihrem Leben sehr wenig
Liebe erfahren. Ein Gott der Liebe wäre jetzt ein Segen für sie.« Er verstummte kurz, und ein Lächeln ließ seine Augen aufleuchten. »Ich denke, mein Junge, deine Aufmerksamkeiten wären auch sehr willkommen!«
Julius errötete. »Ich glaube nicht, dass sie mich je auf die Art bemerkt hat.«
»O doch, das glaube ich schon. Du weißt, dass ihre Mutter ihr verboten hat, dich zu sehen? Warum sollte die Herrin Cerys das tun, wenn sie keinen Grund dafür sähe? Eigon hat einen eisernen Willen, Julius. Das liegt an ihrer Erziehung. Die hat sie von mir erhalten.« Wieder lächelte er. »Sie ist klug und geistreich und gebildet. Außerdem ist sie eine fähige und gesegnete Heilerin. In unserer Heimat könnte sie eine Priesterin werden.« Wehmütig hob er die Augenbrauen. »Es tut mir leid, nicht zu sehen, was aus ihr wird, aber wer weiß, vielleicht wird mir eigens zu dem Zweck ein neues Leben gewährt. Sie glaubt, dass sie nicht heiraten wird. Sie glaubt, die Machthabenden in Rom hätten beschlossen, dass es in Caratacus’ Blutlinie keine Nachkommen geben darf, die in Britannien Unruhe stiften könnten. Der Rest ihrer Familie ist gestorben. Sie ist die letzte.« Er legte seine knochigen Finger auf Julius’ Arm. Die Eisenfessel um sein Handgelenk rasselte, und Julius spürte, wie ihr Gewicht den alten Mann niederdrückte. »Jemand muss dafür sorgen, dass sie in ihre Heimat zurückkehrt.«
Ängstlich sah Julius sich um. Die anderen Gefangenen waren zu sehr mit ihrem Elend und ihrer Angst beschäftigt, um auf sie zu achten. »Weißt du, was du da sagst?«
Melinus nickte. »Und jetzt geh, mein Junge. Nimm meinen Segen. Bete für meine Seele.«
Der Löwe durchtrennte seinen Hals mit einem einzigen Biss. Er musste auf der Stelle tot gewesen sein. Als Julius
inmitten der johlenden Menge stand und sah, wie das Blut der Getöteten in die Sägespäne auf dem Boden der Arena sickerte, spürte er eine leichte Berührung an der Wange, wie eine ganz leise Brise. »Nut Mut, mein Junge. Es war leicht.« Wurden ihm die Worte wirklich ins Ohr geflüstert? Er sah sich um. Die Umstehenden hatten nur Augen für das Blutbad, für das Brüllen der Raubtiere, deren Beute mit Haken vor ihnen hin und her geschleift wurde, um sie zu reizen und ihre Blutlust noch weiter anzustacheln. Ohne etwas wahrzunehmen, wandte Julius sich ab und kämpfte sich zum Ausgang zurück. Er war nicht der Einzige, der sich draußen in den Büschen übergab.
Sacht nahm er Eigons Hand in seine. »Ich habe gestern Abend noch lange mit Melinus gesprochen, bevor …« Er beendete den Satz nicht und schwieg einen Augenblick, ehe er fortfuhr. »Er hat in die Zukunft geblickt und einen Mann gesehen, von dem er sagte, er sei dein Feind.« Er beobachtete sie genau und sah, dass sie bei seinen Worten blass wurde. Er wischte ihr die Tränen von den Wangen. »Du weißt, wer es ist, stimmt’s?«
Sie nickte wortlos.
»Willst du es mir sagen?«
Langsam schüttelte sie den Kopf. »Er ist ein Schatten aus meiner Vergangenheit. Der am besten vergessen ist.«
»Du darfst ihn nicht vergessen, wenn er deinen Freunden nachstellt.«
Sie starrte ihn an. »Was meinst du damit?«
»Melinus sagte, das sei der Mann, der Pomponia Graecina und ihn den Behörden genannt hat. Er sagte, er werde deine Freunde nacheinander verschwinden lassen.«
Eigon wandte sich abrupt ab. »Dann musst du gehen. Du darfst nie wieder hierherkommen.«
»Dafür ist es zu spät, Eigon. Jeder weiß, dass wir befreundet sind.« Er lächelte. »Und dass auch meine Familie deine Freunde sind. Antonia und Großvater sind genauso in Gefahr wie ich, wenn wirklich Gefahr bestehen sollte - das wird sich erweisen. Aber wenn es für mich gefährlich werden könnte, dann muss ich wissen, woher die Gefahr kommt. Melinus sagte, er sei ein Mitglied der Prätorianer.«
Eigon nickte langsam.
»Und offensichtlich ist er einflussreich.«
Sie nickte wieder.
»Warum konnte er dich dann nicht fassen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Das habe ich mich auch oft gefragt.
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