Die Tochter des Königs
zogen sich lautlos in die Küche zurück.
»Mama, ich kann ihn behandeln«, sagte Eigon. »Das weißt du doch. Ich habe die Medizin, die er braucht, Melinus hat mir gezeigt, wie man sie zubereitet. Und wir können Petrus bitten, noch einmal mit ihm zu beten. Ich weiß«, ergänzte sie hastig, als sie Cerys’ abweisenden Blick bemerkte, »ich weiß, du hältst nichts von ihm, aber sein Jesus hat wirklich große Macht. Und Papa mag Petrus, er vertraut ihm.« Ungehalten schüttelte sie den Kopf. Immer wich ihre Mutter ihr aus. Jedes Mal, wenn sie versuchte, mit ihr über Petrus und die Christen zu reden, wechselte sie das Thema, und auf dieselbe Art wich sie auch jedem Gespräch über Titus aus. Eigon schauderte. Vielleicht hatte ihre Mutter ja Recht. Was konnten sie schon groß bewirken? Titus’ Grausamkeit war grenzenlos. Sie würden ihm nie entkommen. Er lauerte als unsichtbarer Feind im Schatten und wartete, bis er sie, Eigon, eines Tages allein antreffen würde.
»Sag’s ihr«, flüsterte Jess. »Besteh darauf. Lass dich von ihr nicht abwimmeln. Die Gefahr für dich ist viel zu groß. Du brauchst Hilfe.«
Eigon drehte sich um, sah suchend durch den Raum und runzelte die Stirn. »Hörst du mich?« Jess setzte sich auf. »Eigon?«
»Jess!« Williams Stimme drang durch die Tür zu ihr. »Jess, mach auf. Ich muss mit dir reden.«
»Nein!« Jess schüttelte den Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Eigon zu. »Sag deiner Mutter, dass er
skrupellos ist. Es nützt dir nichts, so zu tun, als gäbe es ihn nicht!«
Eigon war blass geworden und fasste sich an den Kopf. »Lass mich in Ruhe!« Verwirrt sah sie sich um.
»Sag’s ihr!«, rief Jess. »Wenn du es ihr nicht sagst, bringt er dich um.«
»Jess!« William hämmerte gegen die Tür. »Mit wem redest du da? Mach auf!«
»Nein! Geh weg, William!«
Sie konnte Eigon noch sehen, aber ihre Gestalt war vager geworden, sie verblasste. Wütend stand sie auf und öffnete die Tür. »Du Idiot! Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen! Jetzt ist sie weg.« Mit Tränen in den Augen sah sie sich im Bad um. »Ich kann sie nicht mehr sehen.«
»Du kannst sie nicht mehr sehen, weil sie nicht da ist, Jess.« William fasste sie sanft am Arm. »Beruhige dich und komm ins Wohnzimmer. Carmella macht uns gerade einen Kaffee. Komm und setz dich.«
»William?« Steph erschien hinter ihm. »Ich rede mal mit ihr. Jess, jetzt komm. William hat Recht. Sie ist weg. Du kannst nichts tun.«
»Ihr versteht das alles nicht.« Trotzig zuckte Jess mit den Schultern. »Keiner von euch versteht, worum es eigentlich geht. Ich bin die Einzige, die ihr helfen kann.«
»Jess, du kannst ihr nicht helfen, das ist ja genau der Punkt.« Steph legte ihr einen Arm um die Schultern, führte sie zum Sofa und zwang sie mit sanftem Druck, sich zu setzen. »Jetzt beruhige dich ein bisschen. Wenn du wieder vernünftig denken kannst, wird dir klar, dass es Unsinn ist. Du kannst niemandem helfen. Du kannst nicht mit Eigon sprechen.«
»Warum nicht?« Carmella trat in die Tür, die zur Küche führte. In der Hand hatte sie eine große Caffettiera, die sie
auf den Tisch stellte. »Natürlich kann sie mit Eigon sprechen.«
»Aber sie kann das, was passiert, nicht beeinflussen!«, beharrte Steph. »Sie kann doch das, was in der Vergangenheit passiert ist, nicht ändern!« Vorwurfsvoll schaute sie zu Carmella.
»Ich kann sie warnen«, sagte Jess. »Ich bin davon überzeugt, dass ich sie warnen kann. Sie hat mich gehört, sie hat gewusst, dass ich da war.«
William setzte sich neben sie. »Jess, Liebes, bitte hör doch auf uns.«
»Nenn mich nicht Liebes!«, fuhr Jess auf. »Lass mich in Ruhe. Lasst mich alle einfach in Ruhe!« Sie sprang auf und floh in Carmellas Schlafzimmer.
Carmella folgte ihr und schloss die Tür hinter ihnen. »Sie verstehen das nicht, Jess. Das ist nur natürlich. Aber du musst vorsichtig sein. Bitte mach nichts, ohne dass ich dabei bin. Ich kann dir zumindest Rückendeckung geben.« Sie lächelte entschuldigend. »Hier glaubt jeder etwas anderes. Steph hat deine Eigon selbst gesehen, will aber trotzdem nicht so recht an die ganze Sache glauben. William ist hin-und hergerissen. Kim sieht das Ganze als spannende Unterhaltung, mehr nicht. Wir, du und ich, wissen, dass es real ist. Aber wir wissen auch, dass es gefährlich ist. Wenn du meinen Rat nicht annehmen willst und aufhörst, an sie zu denken, dann müssen wir zumindest ein paar Regeln befolgen und uns absichern,
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