Die Tochter des Königs
fort.
Er seufzte. Aus irgendeinem Grund konnte er ihnen nicht folgen. Jemand hatte eine Barriere errichtet. Er schaute sich nach Jess um. Sie hatte die Frau auch gehört und war dem Geräusch gefolgt. Wo war sie also? Er bog nach links auf den Pfad ab, ging in der Dunkelheit langsam zwischen den Hecken dahin und bog noch einmal links durch ein Gatter auf ein Feld ab. Hier konnte er mehr sehen, der Mond war aufgegangen. Der Weg führte hinter Ty Bran vorbei in die Dunkelheit der Schlucht, die ein Bach in die Bergflanke geschnitten hatte. Das Gelände war dicht mit Eichen und Birken bewachsen und fiel steil zum rauschenden Wasser hin ab. Wenn Jess tatsächlich abgestürzt war, könnte sie schwer verletzt sein. Er brauchte Hilfe, und er brauchte eine Taschenlampe. »Warte auf mich, Jess«, flüsterte er. »Bleib hier. Ich hole Rhodri. Wir kommen. Bald.«
Kapitel 34
I ch habe Erkundigungen einholen lassen, wie Ihr es gewünscht habt.« Die Ärztin warf Julius ein trauriges Lächeln zu. »Ich fürchte, das Anwesen ist leer. Da ist niemand.«
Er saß am Brunnen im alten Hof hinter ihrem Haus. »Hat Euer Bote gefragt, wohin sie gegangen sind?« Mühsam stand er auf und stützte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seinen Stock.
»Er hat gefragt. Niemand wusste Bescheid. In Rom ist es gefährlich, Julius. Im Augenblick wird niemand freiwillig zugeben, dass er einen Christen kennt. Die Herrin Drusilla war als Freundin des Apostels Petrus bekannt. Anschließend ging der Bote zum Haus von Paulus, um sich, wie Ihr vorgeschlagen hattet, nach Pomponia zu erkundigen. Die Herrin ist auf einem ihrer Landsitze in den Bergen. Der Haussklave, mit dem er sprach, sagte, sie sei krank gewesen und man erwarte nicht, dass sie nach Rom zurückkehrt.«
»Hat irgendjemand sie begleitet?«, fragte Julius. Der Ausdruck auf seinem von der Narbe entstellten Gesicht war zutiefst besorgt. Die Ärztin schüttelte den Kopf. »Das wusste der Mann nicht. Er hielt es für unwahrscheinlich. Er sagte, seines Wissens sei sie nur mit zwei Haussklaven aufgebrochen.«
»Einer davon könnte ja sie gewesen sein. Sie könnte sich doch verkleidet haben?« In seiner Stimme lag so große Hoffnung.
Eine Windbö wirbelte vertrocknete Feigenblätter durch den Hof um seine Füße. Es hatte sehr lange gedauert, bis er sich erinnerte, bis er unterscheiden konnte zwischen dem, was passiert war, als seine Freunde und seine Familie ermordet worden waren, und seinem Besuch in Drusillas Haus in Rom. Dort, in Rom, war Eigon gewesen. Sie war in Sicherheit gewesen. Sie war nicht mit Antonia und seinem Großvater ermordet worden. Aber was war dann mit ihr passiert? Die Ärztin bemerkte, dass er zu zittern begann. Langsam führte sie ihn ins Haus zurück. An dem Tag, an dem er sich an die geliebte Frau erinnert hatte, hatte sie gewusst, dass er fortgehen würde. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Jetzt konnte sie lediglich dafür Sorge tragen, dass er wieder zu Kräften kam, um das, was ihm bevorstand, auch bewältigen zu können. Sie seufzte. Sie hatte diesen schwierigen Patienten mehr ins Herz geschlossen, als ihr lieb war, aber er war nicht für sie bestimmt. Jetzt konnte sie nichts weiter für ihn tun, als ihm bei der Suche nach Eigon zu helfen und ihn dann seiner Wege zu schicken.
Früher, als sie erwartet hätte, traf eine Nachricht ein. Ihr Bote war offenbar so vorausschauend gewesen, im Haushalt eine Notiz zu hinterlassen, und zwar unter dem geheimen Zeichen des Fisches. Nur drei Tage später wurde diese Notiz von jemandem mitgenommen, und keine Woche später traf ein Bote im Haus der Ärztin ein. Es war jemand, den Julius kannte: Silas, der früher einmal Sklave in der Villa Caratacus’ gewesen war.
Der junge Mann starrte Julius entsetzt an. Er war der erste Mensch außerhalb des ärztlichen Haushalts, der ihn nach seiner Verwundung sah. Silas überspielte seinen Schrecken
zwar rasch, aber Julius wusste dennoch, dass er kein attraktiver Mann mehr war.
Der Mut wollte ihn verlassen. Er ging mit Silas nach draußen, wo niemand ihr Gespräch mithören konnte, und fragte ihn nach allem, was vorgefallen war. Erst jetzt erfuhr Julius von den grauenhaften Ereignissen, die nach dem Blutbad auf dem Bauernhof passiert waren. Seines Wissens war Silas der Einzige, der dem Gemetzel entkommen war. Er war sofort zu Drusillas Haus geflohen, und so hatten alle dort sehr bald von dem Unglück erfahren und auch, dass alle ermordet worden waren. »Einschließlich Euch, Herr,
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