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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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waren alt und morsch geworden und schließlich umgestürzt. Andere waren gefällt worden. Holunderbäume waren ohne jeden Gedanken an ihre Heiligkeit gerodet, ihre Wurzeln schreiend aus der Erde gerissen worden. Vor einer Wand hatten Schieferhaufen gestanden, die von Moos überwuchert wurden, so dass sie wieder zu einem Felsgestein zusammenwuchsen, aus dem sie dereinst abgebaut worden waren. Die Haufen waren entfernt worden, Handwerker waren gekommen und hatten die Mauer verputzt. Meryn lächelte in sich hinein. Deren Gedanken und Ängste und Scherze waren ebenso im Echo des Gebäudes aufgezeichnet wie das Zögern der gegenwärtigen Besitzerin bei ihrem kreativen Prozess. Vielleicht konnte er ihr helfen zu erkennen, welche Richtung sie einschlagen sollte. Ihr Talent verpuffte, ihr fehlte das Selbstvertrauen, es weiterzuentwickeln.
    Er schüttelte den Kopf. Er musste das alles überwinden, musste weiter zurückgehen, die Jahre hinab in die Dunkelheit.
    Jetzt sah er es. Der Bau war wieder ein Stall, die Mauern waren halb eingestürzt, nur ein baufälliges Dach schützte es vor dem Schnee des Winters. Aber hier war eine Gruppe Männer, ihre Begierde blitzte wie ein blutroter Schnitt durch die Dunkelheit der Nacht. Sie hatten in der blutigen Schlacht, an der sie teilgenommen hatten, jede Selbstbeherrschung hinter sich gelassen. Ihr Denken war ausgeschaltet,
sie folgten keiner Vernunft mehr. Ihr Anführer war Titus Marcus Olivinus. Wohin er ihnen auch voranging, sie folgten ihm.
    Meryn beobachtete sie, ein Schatten aus der Zukunft, als die Männer immer und immer wieder in die schreienden, hilflosen Frauen stießen. Er sah, wie das Kind herbeigezerrt wurde, er sah, wie die anderen zögerten, aber Titus, dessen Augen vom Blutrausch verschleiert waren, warf es zu Boden und fiel über es her.
    Als er fertig war, gingen sie zu ihren Pferden und ließen die Frauen und das Kind scheinbar leblos zurück. Titus war berauscht, seine Begleiter bedrückt. Ihre Hufschläge hallten in der Dunkelheit der Zeit.
    Meryn wartete. Er hatte gelernt, seinen Kopf zu leeren, zu warten, ohne etwas zu bewerten, ohne sich einzubringen. Wenn er handeln sollte, musste er Kontrolle besitzen.
    Er sah die Ankunft der zweiten Gruppe Soldaten. Er sah das Mitgefühl ihres Anführers, die Abscheu der Männer. Das waren disziplinierte Legionäre, die dem Kodex des Krieges folgten.
    Die Frauen wurden fortgebracht. Der Stall versank wieder in der Dunkelheit, aber der Gestank von Angst und Blut blieb zurück. Nach einer kurzen Weile erschien ein kleines Kind, ängstlich wie ein Rehkitz mit riesigen dunkelblauen Augen. Es spähte umher. »Eigon?« Seine Stimme zitterte. »Eigon, wo bist du? Spielen wir das Spiel immer noch? Dürfen wir jetzt rauskommen?«
    Er spürte die Bäume, die alles beobachteten. Das Mädchen betrat den Stall, schnupperte die Atmosphäre wie ein kleines Tier, wusste, dass es etwas sehr Böses wahrnahm, wusste aber nicht, wie es seine Eindrücke deuten sollte. Dann sah er, wie sie plötzlich stehen blieb. Sie bemerkte einen Blutfleck, der im Gras rabenschwarz wirkte. Sie schaute
nach oben. Es wurde hell. Die Dunkelheit zog sich zurück. Bald würde sie überall Blut sehen.
    »Eigon? Wo bist du?« Ihre Stimme war plötzlich ganz dünn. »Ich weiß nicht, wo Togo ist.« Jetzt weinte sie. »Ich bin ganz allein.«
    Hilflos sah Meryn ihr zu. Eine Weile trieb sie sich in der Nähe des Stalls herum, dann machte sie schließlich kehrt und verschwand zwischen den Bäumen.
    Er schüttelte den Kopf. So viel Schmerz und Angst und Unglück, das in dieser Gegend steckte. Das Schlachtfeld unten im Tal, Tod und Zerstörung überall, hier oben diese kleine, qualvolle Szene, das gemeine Verbrechen eines Mannes, das nach Rache schrie.
    Er wartete. Die Szene wurde dunkel. Tag folgte auf Nacht, das Wetter veränderte sich. Raben, die Diener der Kriegsgöttin, kreisten über dem Schlachtfeld. Milane pickten die nicht bestatteten Knochen ab. Es wurde kalt, es schneite. Das kleine Mädchen kehrte nicht zurück. Meryn schickte Fühler nach ihr in den Wald aus. Da war nichts. Er suchte nach dem kleinen Jungen. Er war ein schwacher Funke, allzu leicht auszulöschen, eine Lebenskraft, die verglomm, kaum hatte sie zu leuchten begonnen. Einen Moment sah er die kleine Gestalt zusammengekauert in der Dunkelheit. Der Junge lutschte am Daumen, die Augen vor Angst und Einsamkeit fest zusammengekniffen. Ein Fuchs trabte an seinem Versteck vorbei und hielt inne, hob

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