Die Tochter des Königs
gelangten. Erschöpft kramte Steph den Schlüssel aus ihrer Tasche und steckte ihn in die Haustür. Sie hielt inne. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen, das Licht brannte. »Jess?« Sie lief durch den Flur, dicht gefolgt von den anderen.
Daniel saß auf dem Sofa beim Fenster. Er hatte sich ein Kissen in den Rücken gestopft, auf dem Tisch vor ihm stand eine Tasse Kaffee. Und daneben lag ein Gewehr.
Wie angewurzelt blieb Steph stehen. »Daniel!« Ihr Blick suchte hektisch den Raum ab. Sie spürte, dass die anderen hinter ihr in der Tür standen. »Wie in Gottes Namen bist du ins Haus gekommen? Wo ist Jess?«
Daniel sah sie spöttisch an. Die Ersatzschlüssel, die er vor so langer Zeit vom Haken in der Küche genommen hatte, lagen auf dem Tisch. Er antwortete gar nicht auf Stephs Frage. »Endlich. Wo seid ihr denn gewesen?« Vor Erschöpfung war seine Stimme belegt, seine Jeans war mit Schlamm bespritzt, sein Hemd zerknittert. »Ihr wart so lange weg,
dass ich mir selbst etwas zu essen und zu trinken nehmen musste!«
»Wir haben nach Jess gesucht«, sagte Steph langsam. »Wo ist sie?«
Er lächelte finster. »Hier nicht.« Er machte eine weit ausholende Geste. »Wie ihr sehen könnt.« Sein Blick wanderte an Steph vorbei zu Aurelia und Rhodri, die immer noch in der Tür standen. »Kommt doch rein, bitte. Kenne ich diese Dame? Ich habe mich schon gewundert, wessen Auto das ist.« Er schaute zu Aurelia.
»Ich bin Jess’ Mutter«, antwortete sie. »Und Sie, vermute ich, sind der Mann, der sie verfolgt.« Ihre Stimme war eisig. Meryn hatte sich sofort verzogen und war auf Zehenspitzen in die Küche geschlichen, ohne dass Daniel ihn bemerkt hätte. Umso besser, wenn er glaubte, sein Auto gehöre Aurelia.
»Ihre Tochter ist ein dummes kleines Flittchen!«, sagte Daniel leutselig. »Aber ich muss trotzdem mal mit ihr reden. Warum sollte ich sonst in dieses gottverlassene Nest kommen! Hinsetzen!« Seine Stimme wurde schrill. Rhodri legte die Hände auf Aurelias Schultern und schob sie sanft aus dem Weg, damit er den Raum betreten konnte. Daniel rückte seine Kaffeetasse fast beiläufig zur Seite, um das Gewehr auf den Schoß zu legen.
»Wo hast du das her?«, flüsterte Steph.
»Ich hab’s geklaut!« Daniel lächelte. »Eigentlich ganz erstaunlich. In Newtown habe ich direkt neben einem uralten Landrover geparkt. Der alte Bauer ist einfach ausgestiegen und davongegangen, ohne abzusperren. Und im Kofferraum lag halb zugedeckt das Gewehr. Den Schlüssel hat der alte Trottel zu allem Überfluss im Zündschloss stecken lassen, also habe ich das Auto auch gleich genommen!« Er lachte. »Und eine Schachtel voll Munition im Handschuhfach. Ich
wette, er hat sie noch nicht mal als gestohlen gemeldet. Dafür könnten sie ihn hinter Gitter bringen, dass er so sorglos mit seiner Waffe umgeht.«
Er rückte das Gewehr zurecht und krümmte den Finger locker um den Abzug.
»Ist das geladen?«, fragte Aurelia leise.
»Wenn das nicht geladen wäre, dann wäre ich wirklich ein ausgemachter Trottel«, antwortete Daniel. »Ja, Mrs Kendal, es ist geladen. Und entsichert.« Er lächelte. »Also, jetzt frage ich noch einmal, wo ist Jess?«
»Das wissen wir nicht, das ist ja das Problem!«, sagte Rhodri. »Wir suchen schon den ganzen Tag nach ihr. Wir dachten, sie wäre bei dir.« Seine Augen waren auf das Gewehr gerichtet.
Daniel schüttelte den Kopf. »Eindeutig nicht.«
»Wenn das dein Ernst ist, dann sieht’s schlecht aus für sie. Sie ist irgendwo da draußen, sie muss sich verlaufen oder verirrt haben!«, sagte Rhodri barsch. Es gelang ihm nur mit Mühe, sich zu beherrschen.
»Hat sich verlaufen und wartet darauf, dass ich sie finde.« Daniel hob die Augenbrauen.
Steph starrte ihn gebannt an. »Wir wissen, dass du William umgebracht hast«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Wie konntest du!«
»Tja, das hättest du mir wohl nicht sagen dürfen.« Sein Blick wanderte zu ihr. »Jetzt weiß ich, dass ich nichts zu verlieren habe, wenn ich euch auch noch umlege.« Er machte eine nachdenkliche Pause. »Zumindest zwei von euch. Zuerst links, dann rechts. Aus dieser Entfernung wäre das nicht schwer. Dann müsste ich natürlich nachladen. Das wäre schon etwas schwieriger, dann ist nur einer da, der noch dazu um sein Leben fürchtet. Die Frage ist, welche zwei erschieße ich zuerst? Rhodri natürlich, weil er mir zutiefst
zuwider ist. Aber bei euch beiden …« Er wiegte den Kopf und schaute in gespielter Verzweiflung zwischen
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