Die Tochter des Königs
Kälte ins Gesicht und setzte sich auf den Boden, den Rücken an den Stein gelehnt. Vermutlich würde dieser Mann früher oder später kommen, um seine Vorräte abzuholen. Sie brauchte nur zu warten.
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie eingeschlafen war, aber plötzlich standen ihre Augen weit offen. Es war finster. Angespannt schaute sie sich um und versuchte festzustellen, was sie geweckt hatte. Sie spitzte die Ohren. Ein Fuchs, ein Dachs, ein Wildschwein? Ein Wolf? Schaudernd presste
sie sich an den Stein und spürte seine Kälte durch ihren Umhang dringen. Dann hörte sie es wieder. Der leise Ruf einer Eule. Sie schaute nach oben und kniff die Augen zusammen, um den Vogel irgendwo in den Bäumen auszumachen. Er beobachtete sie und gab jemandem eine Botschaft weiter. Langsam erhob sie sich. Vielleicht war dieser Jemand ein Druide.
Sie sah ihn gar nicht kommen. Zuerst war die Stille um sie leer, dann sah sie ihn neben sich, auf seinen Stab gestützt. Lautlos flog die Eule davon und verschwand in der Nacht.
»Entschuldige. Hätte ich gewusst, dass ich Besuch habe, wäre ich früher gekommen.« Er sprach leise im lokalen Dialekt, den sie aber mühelos verstand. »Meine Freunde haben mir gerade erst gesagt, dass du hier bist.« Er deutete mit dem Kopf zu dem Ast, auf dem die Eule gesessen hatte.
Eigon lächelte, ihre Angst hatte sich in Nichts aufgelöst. »Verzeih, dass ich ohne jede Ankündigung hier aufgetaucht bin.«
»Komm.« Er bückte sich nach den Bündeln. »Jetzt gehen wir zu mir ins Haus, dort kannst du mir den Grund für deinen Besuch erzählen. Du bist in meinen Wäldern willkommen.«
Sie wusste nicht genau, wie lange sie durch die Bäume wanderten. Sie konnte keinen Pfad ausmachen, doch das Gehen war unbeschwerlich, und der Mann war rücksichtsvoll, fand sich in der Dunkelheit mühelos zurecht und blieb immer wieder wartend stehen, damit sie zu ihm aufschließen konnte.
Plötzlich standen sie auf einer Lichtung, und vor sich sah Eigon ein rundes Haus von der Art, die sie so gut aus ihrer Kindheit kannte. Davor brannte ein Feuer, das abgedeckt
war, damit die Glut erhalten blieb, bis der Mann zurückkehrte. Daneben befand sich eine Kochstelle. Dem würzigen Duft nach zu urteilen, der von der aufgehäuften Erde aufstieg, garte dort eine herzhafte Mahlzeit. Eigon lächelte müde, als der Mann ihr freundlich bedeutete, sich auf den Stamm zu setzen, der vor dem Feuer stand und als Sitz diente. Im Handumdrehen hatte er die Erde und Asche weggefegt und die Glut mit Reisig wieder entfacht.
Der Mann bestand darauf, dass sie sich erst ein wenig ausruhte und sie beide aßen, ehe er ihr gestattete, ihre Geschichte zu erzählen. Schweigend hörte er ihr zu, sah den Funken nach, die in den Nachthimmel stoben, ab und zu stand er auf und legte ein Holzscheit nach. Als Eigon schließlich zum Ende kam, schwieg er lange Zeit. Sie warf einen kurzen Blick zu ihm. Er war groß und im fortgeschrittenen Alter, sein Gesicht war tätowiert und voller Narben. Wie sie vermutet hatte, war er ein Druide und lebte zurückgezogen in den Wäldern. Als sie fragte, ob er keine Angst habe, tat er die Gefahr mit einem Achselzucken ab. Immerhin waren Druiden in Gallien seit der Zeit Julius Cäsars verboten, hier in Britannien seit dem Einmarsch Claudius’.
»Der Mann beim mansio meinte, du seiest freundlich zu Christen«, sagte Eigon schließlich. Sie presste die Lippen aufeinander. Sie hatte gehofft, dass sie zu einem Christen geführt würde, aber das war eindeutig nicht der Fall. »Er erkannte das Zeichen des Fisches auf der Botschaft, die dort für mich lag, und meinte, du würdest mir vielleicht helfen.«
Ihr neuer Freund lächelte nachdenklich. »Er hat Recht. Ich helfe Leuten, unabhängig welchem Gott sie folgen, auch Christus. Ich habe viel über diesen Jesus gehört. Ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem, was er predigt, und meinem
eigenen Glauben. Vielleicht kannst du mir mehr über ihn erzählen, während du mein Gast bist.« Er warf ein weiteres Scheit in die Flammen.
Über ihnen rief im Baum die Eule. Eigon lächelte. »Sie ist dir nach Hause gefolgt.«
Er nickte. »Sie wacht gern über mich.«
Er hieß Gort. Als er sah, dass Eigon die Augen zufielen, zeigte er ihr das runde Haus und überließ ihr sein eigenes Bett. Er sagte, er wolle ohnehin die restliche Nacht draußen unterwegs sein. Sie würden sich am Morgen weiter unterhalten. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ihr warm, sie fühlte sich sicher und gut
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