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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Anrufbeantworter ging ran. Seufzend legte sie wieder auf.
    Im Haus war es sehr still - auf eine fast gespenstische Art, als würde jemand lauschen. Jess ging zur Tür und schaute in den Flur hinaus, dann suchte sie das ganze Haus ab. Niemand war da, und nichts deutete darauf hin, dass während ihres Spaziergangs jemand da gewesen wäre.
    Als die Sonne unterging, verriegelte sie die Haustür, entfernte Stephs Trockenblumen aus dem Kamin im Wohnzimmer und zündete ein Feuer an. Zum Abendessen machte sie sich Rührei auf Toast, dann saß sie in der langen Abenddämmerung am Boden, hörte Radio und beobachtete, wie die Flammen aus den alten Apfelscheiten die rußgeschwärzten Kaminsteine umloderten.
    Wie sich herausstellte, war Cartimandua eine Keltenkönigin der Eisenzeit, eine Zeitgenossin von Caratacus und Boudicca, doch im Gegensatz zu ihnen war sie mit Rom verbündet. Jess stellte ihren Teller beiseite, lehnte sich, ein Glas Wein in der Hand, bequem auf dem Sofa zurück und hörte gebannt zu. Caradoc. Während die Dämmerung langsam in Dunkelheit überging, hallte der Name durch den Raum. Caradoc war der Name, unter dem die Kelten ihren Kriegerkönig kannten, Caratacus war die römische Version. Er war der Mann, dessen Armee im Tal unterhalb von Stephs Haus besiegt worden war. Und jetzt erfuhr Jess auch, was in der Folge mit ihm passiert war. Nach der Schlacht war er, wenn auch schwer verwundet, in die Berge geflohen, zuerst
nach Norden und dann nach Osten ins Land der Briganten, dem großen Zusammenschluss von Stämmen, über den Königin Cartimandua, seine Cousine, herrschte. Dort, so glaubte er, würde er Zuflucht und Unterstützung finden. Doch er täuschte sich. Cartimandua setzte ihn fest und lieferte ihn seinen Feinden aus, denn sie fühlte sich an den Vertrag gebunden, den sie mit Kaiser Claudius geschlossen hatte, der sieben Jahre zuvor in Britannien einmarschiert war.
    »Dumme Pute!« Jess legte Holz nach und schenkte sich noch ein Glas Wein ein. »Und was ist dann mit ihm geschehen?«
    Die Antwort darauf erfuhr sie nicht, im Weiteren drehte sich das Hörspiel um die Lebens- und Liebesgeschichten Cartimanduas. Nachdem geschildert wurde, wie die römischen Wachposten Caratacus in Ketten fortgeschleppt hatten, wurde er nicht weiter erwähnt. Jess fragte sich, ob Cartimandua wohl je wieder einen Gedanken an ihn verschwendet hatte.
    Als das Hörspiel zu Ende war, blieb Jess noch eine ganze Weile am Boden sitzen, schaute in die Flammen und hörte auf das Knacken der brennenden Scheite. Hatte Caratacus seine Frau und Kinder jemals wiedergesehen? War er getötet worden? Hatten die Römer sie alle hingerichtet? Das wusste sie nicht.
    Aber sie hatte den starken Verdacht, dass Eigon und Glads es ihr sagen würden.
    In ihren Träumen, oder wenn die beiden Geisterkinder, die Caratacusʹ Töchter gewesen waren, in ihrer Angst und Wut durchs Haus tobten, würden sie ihr die Geschichte erzählen, ob Jess sie nun hören wollte oder nicht. Sie schauderte. Ihr blieb keine andere Wahl. Durch die Erfahrung von Vergewaltigung und Verrat war sie jetzt mit Eigon verbunden,
und solange sie, Jess, in diesem Haus war, würde sie Eigons Geschichte zuhören müssen.
     
    Ist Papa da?
    Die quäkige, dünne Stimme hallte angstvoll über das Geräusch des Windes und des Regens hinweg zu ihr. Jess lag still da, die Decke bis unters Kinn hochgezogen, und starrte zur Decke. Es war halb drei Uhr morgens, sie hatte gerade noch einmal auf den Wecker geschaut. Sie schloss die Augen vor dem Schein der Nachttischlampe und drehte sich um, die Decke über den Kopf gezogen, um nicht geblendet zu werden. Sie traute sich nicht, das Licht auszumachen.
    Hören wir mit dem Spiel auf? Papa wird wissen, wo Togo und Glads sind. Er weiß alles.
    Von der Tür war ein Klicken zu hören. Jess drehte sich um und starrte sie panisch an. Langsam schwang sie auf. Im dahinterliegenden Flur war es pechschwarz.
    Sie presste sich das Kissen an die Brust und setzte sich auf. Jemand kam durchs Zimmer auf sie zu. Sie konnte die Person, wer immer es war, weder sehen noch hören, sie spürte nur ihre Präsenz. »Geh weg!«, schrie sie. Ihre Stimme zitterte. »Bitte, geh weg. Ich kann dir nicht helfen. Ich weiß nicht, wo sie sind. Ich weiß nicht, wo dein Vater ist!«
    Die Präsenz blieb stehen, sie lauschte. Jess klammerte sich am Kissen fest. »Wenn ich es könnte, würde ich dir wirklich gern helfen. Dein Vater hat sich an die Königin der Briganten gewendet. So viel

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