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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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hörte seine wachsende Panik. »Du hast die Situation völlig missverstanden. Ich wollte dir wirklich keinen Schrecken einjagen. Ich dachte, du wolltest es auch. Du wolltest es ja auch. Du hättest dich mal sehen sollen. Du warst so betrunken.« Er lachte verächtlich. »Das waren keine Drogen. Das bildest du dir nur ein. Es war bloß der Alkohol. Ash hat dir alles Mögliche zu trinken gegeben. Die Kids hatten doch literweise Alk dabei. Am Ende der Disco lagen die meisten im Koma. Zum Teufel noch eins, Jess, du darfst es niemandem sagen. Dann kann ich meine Karriere vergessen.« Er machte eine Pause. »Außerdem würde dir sowieso niemand glauben. Schließlich hast du ja bislang niemandem davon erzählt, oder?« Als sie schwieg, lachte er böse. »Das habe ich mir doch gedacht. Also, ich fahre jetzt los. Ich mache es wieder gut, ich kann dir alles erklären. Warte einfach!«
    »Das tue ich nicht. Ich werde nicht hier sein, wenn du kommst, Daniel«, gab sie zurück. Ihre Worte hallten in die Stille hinein. »Daniel? Bist du noch dran?« Hatte er aufgelegt? Aber sie hörte doch, dass die Leitung nicht tot war.
    Am Ende der Wiese, wo die Telefonleitung ein Stück weit durch den Wald verlief, brach ein Ast ab, verfing sich darin,
blieb ein paar Sekunden baumeln und fiel dann auf den Boden. Die Leitung war unterbrochen.
    »Daniel? Daniel, hörst du mich? Untersteh dich herzukommen!« Jess knallte den Hörer auf. Ihre Hände zitterten.
    Können wir jetzt aufhören zu spielen?
    Die Stimme war lauter als zuvor. Es war Glads.
    Panisch sah Jess sich um. Sie würde nicht einfach hier sitzen und warten, bis Daniel kam und sie zu überreden versuchte, das Vorgefallene einfach zu vergessen. Nicht, wenn er so wütend war, wie er am Telefon geklungen hatte. Sie musste weg. Was hielt sie denn hier? Nur Stephs blöde Pflanzen. Und die waren jetzt ihre geringste Sorge.
    In weniger als einer halben Stunde hatte sie alles gepackt und im Wagen verstaut. Wie weit war es von Shrewsbury nach Ty Bran? Wie lange würde Daniel für die Fahrt brauchen? Sie musste weg sein, bevor er kam. Sie sauste noch einmal ums Haus, um alle Türen abzuschließen, dann setzte sie sich ins Auto.
    Es sprang nicht an.
    »Tu mir das nicht an!« Sie schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad und drehte den Zündschlüssel noch einmal um. Nichts. Die Batterie war leer. Hatte sie denn die Scheinwerfer brennen lassen? Mist. Mist Mist Mist! Sie versuchte, ruhig durchzuatmen. Was konnte Daniel ihr antun? Er war wütend, er drohte ihr. Er konnte sie anschreien. Fluchen. Was noch? Was, wenn er gewalttätig wurde? Er könnte sie grün und blau schlagen. Oder sie noch einmal vergewaltigen. Oder versuchen, sie umzubringen. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Es stimmte, er hatte wirklich unendlich viel zu verlieren. War das ein Auto auf dem Feldweg? Panisch lauschte sie. Er konnte doch unmöglich schon hier sein. Sie schluckte, wie gelähmt vor Angst, bis ihr klarwurde, dass das Geräusch von einem Traktor irgendwo unten
im Tal stammte, das in der unbewegten Luft nach oben trieb. Jess trat die Kupplung ein paarmal durch und drehte noch einmal den Zündschlüssel um. Immer noch nichts. Der Motor gab keinen Mucks von sich.
    »O mein Gott, was soll ich bloß machen?«
    Sie stieg aus und lief zum Telefon. Es war tot, und der Akku ihres Handys war leer.
     
    Als Jess ankam, saß Rhodri am Klavier. Schon vom Tor aus hörte sie ihn singen, und sie blieb kurz stehen, gebannt von der Kraft und Schönheit seiner Stimme. Sobald die Hunde bellten, brach er ab und kam zur Tür. »Ach, Sie sind’s. Wie läuft die Gespensterjagd?«
    Ohne Auto war ihr nichts anderes übrig geblieben, als über die Felder herzulaufen. »Darf ich rein?« Fast hatte sie Angst, dass sie, wenn sie sich umdrehte, Daniel sehen würde, der ihr übers Feld nachjagte.
    Rhodri runzelte die Stirn. »Natürlich.« Er ging ihr voraus in die Küche. Durch die offene Wohnzimmertür sah Jess den Flügel mit dem geöffneten Deckel, auf der Klavierbank lagen Notizbuch und Bleistift, überall stapelten sich Noten. Sie hatte ihn bei der Arbeit gestört. »Was ist denn passiert? Sie sehen etwas mitgenommen aus.«
    »Mitgenommen!« Plötzlich überlegte sich Jess, wie sie wohl wirklich aussehen musste - kaputt, außer Atem, das Haar zerzaust, die Schuhe verdreckt. Sie versuchte, sich zu beruhigen, aber es gelang ihr nicht. Tränen traten ihr in den Augen. »Es tut mir sehr leid, Sie zu stören, aber ich brauche Ihre Hilfe!

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