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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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ständig auf sie aufpasst. Früher hast du dich ja auch nicht so viel um sie gekümmert, warum jetzt plötzlich?«
    Steph wiegte zweifelnd den Kopf hin und her. »Keine Ahnung. Ich habe einfach ein seltsames Gefühl, mehr nicht.«

    »Was für ein seltsames Gefühl denn?« Kim hielt beim Rühren inne und betrachtete ihre Freundin. »Ihr zwei seid doch keine Zwillinge, oder?«
    »Das weißt du doch.«
    »Dann hör auf, dir Sorgen zu machen. Geh und kümmere dich lieber um unsere Gäste. Schau, ob jeder was zu trinken hat. Wenn du wirklich wissen willst, was mit Jess ist, dann frag Carmella. Sie legt Karten. Ein Pack liegt in Adrianos altem Büro.«
    Steph ging durch die Wohnung Richtung Eingangstür. Aus dem großen Empfangszimmer drang Stimmengewirr. Kims Vorliebe fürs Kochen führte häufig zu improvisierten Festen, bei denen die Gäste die Gabe ihrer englischen Gastgeberin bestaunten, besser italienisch zu kochen als sie selbst.
    Steph verzichtete darauf, das Kartenlegen zu erwähnen, doch als alle später bei dolci und Espresso im Salon saßen, sprach Kim das Thema an.
    »Carmella, Steph würde gern wissen, was mit ihrer Schwester ist. Würdest du die Karten für sie legen und ihr sagen, was in Wales gerade los ist?« Kim schob sich aus dem tiefen Sofa hoch und durchsuchte die Schubladen des alten Schreibtischs.
    Als sie eine kleine Kiste herausholte, schauten die anderen Gäste interessiert auf.
    Carmella, eine große, elegante Mittvierzigerin, streckte lässig die Hand danach aus. »Die habe ich seit Adrianos Tod nicht mehr gesehen. Weißt du noch, wie oft wir sie früher gelegt haben?« Lächelnd hob sie ihre sehr schwarzen dünnen Augenbrauen.
    Kim nickte. Kurz wurde sie von Sehnsucht überwältigt. »Er hat dir so gern dabei zugeschaut, aber er wollte nie, dass du sie für ihn selbst legst. Vielleicht, wenn du doch …«

    »Nein!« Carmella mischte die Karten. »Nein, das darfst du nicht einmal denken. Es ist gekommen, wie es kommen sollte.« Sie strich sich die dunklen Haare aus der Stirn und zog an der Zigarette, die im Onyxaschenbecher neben ihrer Espressotasse lag. »So, und jetzt sehen wir mal, was die Karten zu sagen haben. Es geht um deine Schwester, Steph?«
    Steph nickte.
    »Wie heißt sie?«
    »Jess.«
    »Hast du irgendetwas von ihr dabei? Einen Brief vielleicht oder ein Schmuckstück? Um die Verbindung herzustellen.«
    Steph überlegte kurz. »Ich habe einen Schal von ihr. Sie hat ihn mir geschenkt, weil er mir so gut gefallen hat.«
    »Sehr gut. Holst du ihn?«
    Belustigt verfolgte Steph, wie Carmella das Deck abhob und die Karten auf dem Couchtisch auslegte. Seit Jahren hatte sie niemandem beim Legen des Tarots mehr zugesehen, vermutlich seit ihrer Studentenzeit nicht mehr, als sie es selbst gemacht hatte. Carmella tat es ausgesprochen stilvoll, das musste man ihr lassen. Steph lehnte sich zurück und trank einen Schluck Espresso, während Carmella die erste Karte aufdeckte. Jess’ Schal lag als smaragdgrüner Tupfer auf ihrem schwarzen Rock.
    »Ah, il fante di denari . Münzbube, so nennt ihr ihn, sì? Das ist Jess. Ein Bube kann auch eine Frau darstellen, das wisst ihr?« Carmella sah in die Runde, dann strich sie mit dem Finger nachdenklich über die Karte. Alle Augen waren auf ihre Hände gerichtet, als sie die nächste aufdeckte und dann die beiden Karten betrachtete. Ihre Stirn war gerunzelt. »Non capisco«, sagte sie leise, wie zu sich selbst. »Das ist sehr merkwürdig. Wir haben hier zwei verschiedene Personen.
Zwei Frauen. Seht ihr? Il fante di bastoni, der Stab-Bube. Aber der steht für una ragazza , eine sehr viel jüngere Frau. Das ist für die Deutung sehr wichtig. Die beiden sind irgendwie miteinander verbunden.« Sie deckte die dritte Karte auf. »Und hier kommt zu ihnen dazu il re di coppe al negativo .« Sie zögerte und schüttelte den Kopf. »Da ist Gewalt, Skandal, Verrat. Ein böser Mann im Leben der beiden Frauen.« Besorgt schaute sie auf. »Und hier, il matto . Der Narr. Er deutet auf eine Reise für all diese Menschen hin. Ich glaube, keine buchstäbliche Reise - vielleicht ein Schritt ins Ungewisse. Nein, auch eine echte Reise.« In rascher Folge hatte sie drei weitere Karten aufgedeckt. »Da steht so viel.« Sie breitete die Hände über die Karten. »Sie sind auf einer Suche. Deine Schwester, Steph, ist zu einer Reise aufgebrochen, der sie sich nicht entziehen kann. Sie reist mit einer anderen Frau, vielleicht ist sie noch ein Kind, und ihnen folgt dieser Mann.

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