Die Tochter des Königs
Fäuste reckten, wenn sie vorüber waren. Und unablässig zogen sie in Richtung der aufgehenden Sonne.
In Verulamium blieb der Trupp für zwei Tage.
Und dort hörte Eigon, als sie anderen Kindern beim Spielen zusah, auch Glads Stimme.
Wo bist du? Du hast uns gesagt, wir sollen im Wald bleiben. Eigon? Ich kann Togo nicht mehr finden. Können wir jetzt mit dem Spielen aufhören? Ich bin ganz allein!
Die Stimme klang hysterisch und wurde immer wieder von Schluchzern unterbrochen, hallte über die breiten Straßen und über das Gelächter der Kinder hinweg.
»Mama!« Eigon zog ihre Mutter an der Hand. »Glads ruft mich, ich kann sie hören.«
Cerys sah nach unten, ihre Augen blitzten hart wie Feuerstein. »Ich will den Namen deiner Schwester nicht mehr hören!«
»Aber, Mama, bitte! Sie ruft nach mir. Sie hat sich verirrt, sie hat Angst!«
Cerys entriss ihr die Hand. »Du lügst!« Sie wandte sich ab, um ihre Tränen zu verbergen. »Denk nicht mehr an sie. Sie sind fort.«
»Aber, Mama, Glads ist noch da. Sie wartet auf uns. Sie hat Togo verloren.«
Cerys schrie gequält auf und stieß Eigon von sich. Danach versuchte das Kind nicht mehr, seiner Mutter zu sagen, was es gehört hatte. Nachts im Bett aber betete Eigon, schüttete der Göttin Bride ihr Herz aus und flehte sie an, ihrem Bruder und ihrer Schwester beizustehen.
Doch die Göttin gab ihr keine Antwort.
Als Jess aufwachte, war es helllichter Tag. Sie fühlte sich so steif, dass sie sich kaum rühren konnte. Einen Moment wusste sie nicht, wo sie war, dann setzte sie sich seufzend auf und sah sich um. Ihr Traum verblasste, die Ereignisse des vergangenen Tages trieben wieder an die Oberfläche. Hungrig, durstig und voller Angst stand sie auf und schlich zur Scheunentür. Der Hof war verwaist.
Ihr Rundgang um das Farmhaus und die Außengebäude bestätigten, dass tatsächlich niemand da war. Hungrig, wie sie war, öffnete sie die alte Tiefkühltruhe, die sie in einem Anbau hinter dem Heuschuppen entdeckte, fand aber nur einen Berg gefrorener Lammteile. Enttäuscht schloss sie die Truhe wieder. Megans Gemüsegarten erwies sich als nahrhafter. Eine Handvoll verspäteter Himbeeren und Erdbeeren, schwarze Johnanisbeeren, Erbsen und eine oder zwei Karotten, von denen sie die Erde abbürstete, brachten sie wieder zu Kräften, und damit kehrten auch ihre Lebensgeister zurück. Bis sie sich satt gegessen hatte, hatte sie sich einen Plan überlegt: Sie würde nach Ty Bran gehen und vom Wald auf dem darüberliegenden Berg aus feststellen, ob die Luft rein war. Sollte Daniel noch dort sein, würde sie einen weiten Bogen ums Haus schlagen und zu Fuß zum Dorf unten im Tal gehen.
Auf dem Berg oberhalb des Hauses stehend, hatte sie das Haus und den Feldweg im Blick. Von Daniels Auto war nichts zu sehen. Zögernd stieg Jess zum Tor hinunter und blieb davor stehen, sah genau in alle Ecken und Winkel des Hofs, zu jedem Baum und jedem Strauch. Sie hatte das Gefühl, dass niemand da war. Die Garage war leer, auf dem Hof stand nur ihr kleiner Ford. Woanders konnte sein Wagen nicht sein. Hinter dem Haus war dafür kein Platz, und entlang des Feldwegs gab es keine Versteckmöglichkeiten. Daniel war weg, davon war Jess überzeugt. Die Amsel saß auf ihrem Lieblingsplatz oben auf dem Dach des Ateliers. Jess lächelte. Wenn in den letzten Minuten jemand hier gewesen wäre, säße der Vogel nicht dort. So leise wie möglich schob sie das Tor auf und schlich über den Hof. Die Haustür war verschlossen. An die Mauer gepresst, kroch sie zum Küchenfester und spähte hinein. Auch dort war niemand. Geduckt ging sie unter dem Fenster vorbei zur Hausecke
und sah, dass die hintere Tür einen Spaltbreit offen stand. Vor Schreck fuhr sie zusammen und wartete mit angehaltenem Atem. War er doch noch hier? Erst eine ganze Weile später wagte sie es, zur Tür zu schleichen und sie so weit wie möglich zu öffnen. Nichts war zu hören. Es kostete sie große Überwindung, das Haus zu betreten, und noch größeren Mut, es zu durchsuchen. Aber bis auf die zerbrochene Fensterscheibe im Esszimmer, durch die sich Daniel Zutritt zum Haus verschafft hatte, war keine Spur von ihm zu sehen.
Mit klopfendem Herzen stand sie kurz darauf in der Küche und überdachte ihre Situation. Sie konnte unmöglich hierbleiben, dafür sah Daniel sie viel zu sehr als Gefahr. Sie runzelte die Stirn. Wo steckte er jetzt? Und warum war er gefahren? Hatte Natalie ihn angerufen und gebeten heimzukommen? Vielleicht
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