Die Tochter des Königs
gewesen. Camulodunum war das Zentrum des Bündnisses,
zu dem sich die beiden großen Stämme der Catuvellaunen und der Trinovanten zusammengeschlossen hatten. Cunobelinus, der Vater Caradocs, hatte vor der Ankunft der Römer hier als König geherrscht. Jetzt diente die Stadt als Zentrum und Militärstützpunkt der neuen Provinz Britannien. Und während Cerys mit ihrer Tochter hier in der Festung wartete, erfuhr sie, was das Schicksal für sie bereithielt: Sobald ihr Gemahl zu ihnen in den Süden kam, würden alle Gefangenen nach Rom gebracht werden, wo man sie dem römischen Volk und dem Kaiser als besiegte Feinde vorführen wollte. Was dann folgen würde, stand ebenso fest. Cerys brauchte den Blick in den Augen des Legionskommandanten gar nicht zu deuten, um zu wissen, dass ihnen ein grausamer Tod vor den jubelnden Mengen bevorstand, und ebenso wusste sie, dass sie und Eigon strengstens bewacht würden, während sie auf die Ankunft ihres Gemahls aus der Gefangenschaft der Königin der Briganten warteten. Ihre Tage als wertvolle Gefangene waren zu Ende, ihr neues Leben als gefangene Sklaven hatte begonnen.
Cerys starrte das Schreiben in der Hand des Kommandanten an, als könnte sie es dadurch zum Verschwinden bringen, als könnte sie ihn dazu zwingen, die Zeilen noch einmal zu lesen und zu sagen, er habe sich geirrt, doch sein Blick bestätigte nur, was er soeben vorgelesen hatte. Schon winkte er den Wachposten zu sich. Sie wurde aus dem Raum geführt, Eigon dicht hinter hier.
»Mama? Mama, wohin gehen wir? Mama, was passiert jetzt?« Das Mädchen griff nach dem Rock ihrer Tunika. Cerys achtete nicht auf sie. Innerlich wappnete sie sich. Sie würde keine Angst zeigen. Sie würde keine Trauer zeigen. Sie würde die Ehre ihres Stammes und die königliche Tapferkeit ihres Gemahls vor diesen Männern nicht verraten. Und ihre Tochter auch nicht.
»Sei still, Eigon«, herrschte sie sie an. »Vergiss nicht, du bist eine Prinzessin. Zeig ihnen nicht, dass du Angst hast!«
Eigon zuckte zusammen und schluckte ihre Tränen hinunter. Einer der Legionäre in der Eskorte hatte den Wortwechsel bemerkt. Er schaute zum Kommandanten, der in die andere Richtung sah, und warf dem kleinen Mädchen ein Lächeln zu im Versuch, es zu trösten. »Nur Mut!«, flüsterte er.
Der letzte Chor der ersten CD endete mit einer Fanfare. Jess zuckte zusammen und merkte, dass sie viele Kilometer gefahren war, ohne auf ihre Umgebung zu achten, völlig gefangen von der leidenschaftlichen Musik. Sie hielt Ausschau nach einem Straßenschild. Sie war noch auf dem richtigen Weg zur Autobahn und nach London. Während sich in ihrem Kopf Eigons Schicksal entfaltete, hatte ein anderer Teil ihres Bewusstseins am Lenkrad gesessen, war abgebogen, um Kreisverkehre und durch Dörfer gefahren und hatte sich dabei immer weiter von Wales entfernt.
Erst als sie an der Raststätte Warwick Services an der M4 parkte und sich für eine Tasse Kaffee und ein getoastetes Sandwich anstellte, zwang sie sich, Eigon und deren Familie aus ihren Gedanken zu verbannen und sich der Gegenwart zu stellen. In ihre Wohnung konnte sie nicht, die Untermieterin würde sich über ihre vorzeitige Rückkehr gar nicht freuen. Außerdem würde Daniel dort zuerst nach ihr suchen. Trotz der vielen Menschen um sich her schauderte Jess. Nein, sie würde bei ihrem Plan bleiben. Sie hatte alles dabei, was sie brauchte: ihren Pass, ihre Kreditkarten. Sie würde Steph - und Eigon - nach Rom folgen.
Kapitel 9
D ie Götter waren ihr wohlgesinnt, in einer der Abendmaschinen nach Rom war noch ein Platz frei. Den Großteil ihrer Habseligkeiten ließ Jess im Wagen, den sie auf dem Langzeitparkplatz in Heathrow abstellte. Als das Flugzeug abhob und im scharfen Bogen über London hinwegflog, machte sie es sich mit einem Seufzer der Erleichterung in ihrem Sitz bequem.
Spätnachts kam sie schließlich vor dem Palazzo an. Sie stieg aus dem Taxi, bezahlte den Fahrer und schleppte ihren Koffer zur Tür. Auf der Straße ging es so geschäftig zu wie in London zur Mittagszeit, wie sie erstaunt feststellte, aber zu mehr Beobachtungen kam sie nicht, denn schon wurde sie von allen Seiten umarmt und gedrückt und die breite Marmortreppe zu Kims Wohnung hinaufgeführt. Kurz darauf saß sie in der altmodischen, hallenden Küche vor einem Glas kalten Frascati und einem Teller Pasta.
»Und?« Steph setzte sich ihr gegenüber, stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich vor. »Was ist passiert?«
»Was meinst
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