Die Tochter des Leuchtturmmeisters
einer der Schieferplatten aus und plumpste auf den Hintern.
»Kleine Sünden straft Gott sofort, heißt es nicht so?«, fragte Rob und half ihr auf. »Ehrlich gesagt, sie konnte unsdoch nicht schnell genug loswerden. Glaubst du wirklich, dass sie all die Schubladen selber rausgezogen hat?«
»Nein, das kann ich mir schwer vorstellen, aber was sollen wir tun? Zurückgehen?«, sagte Karin, während sie mit Hilfe der Handschuhe den meisten Schnee von ihrer Jeans klopfte.
Am
Hamnkrogen
angekommen, öffneten sie die Tür und setzten sich an einen Fenstertisch mit Blick auf Marstrandsön. Ein Anruf kam von Folke, als sie mitten beim Essen waren.
»Wo seid ihr?«
»Du meinst, wohin«, erwiderte Rob. Karin verstand sofort, wer dran war.
»Sehr lustig! Es heißt,
wo
man ist und
wohin
man will. Wohin hat mit Bewegung zu tun.«
»Rufst du deshalb an? Um mir eine Sprachlektion zu erteilen?«, fragte Rob.
»Das wäre schon nötig. Nein. Karin sollte doch um drei bei Margareta in der Rechtsmedizin sein, aber da ihr noch in Marstrand seid, muss ich das wohl übernehmen.«
»Wir werden das kaum schaffen, aber, wenn möglich, stoßen wir direkt am Medicinarberget dazu. Fahr vor, damit wenigstens einer von uns rechtzeitig dort ist.« Rob hörte Folke seufzen, bevor er auflegte.
Der Schnee an Karins Hose war geschmolzen, und ihre ganze linke Seite war nass und kalt. Rob ging den Wagen holen, während sich Karin im Boot etwas Trockenes anziehen wollte. Sie hatte auch einen Kaffee an Bord versprochen, bevor sie zurück nach Göteborg fuhren. Karin setzte sich an den Navigationstisch, um die nasse Hose auszuziehen. Es war erstaunlich warm im Boot, wenn man bedachte, dass die Heizung seit ihrem Weggehen abgestellt war.
Die Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Sten, der ehemalige Polizist, und der Pastor Simon waren Brüder. Siri war nie mit Arvid verheiratet gewesen … Und dann war da die im Hafen gefundene Leiche. Eine Seekarte lag aufgeschlagen aufdem Navigationstisch. Karin ließ den Zeigefinger durch die Schären um Pater Noster gleiten.
Sie nahm die Namen nicht unbedingt für bare Münze, da sie wusste, dass man im 19. Jahrhundert Leute aus Stockholm hergeschickte hatte, die die Küste Bohusläns kartographieren sollten. Keiner hatte wohl an die Probleme gedacht, die sich ergeben würden, wenn die Bewohner der Schären den Stockholmern die Namen der Inseln erklärten. Da die Hauptstädter den hiesigen Dialekt nicht verstanden, deuteten sie die Bezeichnungen nach bestem Vermögen. Noch heute waren mehrere der alten Namen im Gebrauch, auch wenn die gedruckten Seekarten etwas ganz anderes aussagten. Erst kürzlich hatte der Leuchtturm Barrlind seinen richtigen Namen zurückerhalten, nachdem er eine ganze Reihe von Jahren Berlin genannt worden war. Levern, Skuteskär, Elloven, Pottan, Skethasen und Systrarna. Etwas ließ sie reagieren, und sie spürte den nur zu gut bekannten Sog in der Magengrube. Der Körper reagierte, noch bevor sie den Gedanken zu Ende gebracht hatte.
Rob kam mit Gepolter und Getöse an Bord. Normalerweise hätte ihn Karin aufgeklärt, dass man ein Boot vorsichtig betrat und nicht wie ein Elefant, aber sie war viel zu aufgeregt dazu.
»Entschuldigung, Fräulein! Ist das hier der Ort, wo man Kaffee serviert?«, fragte Rob und hob schäkernd die dunklen Brauen.
»Warte!«, sagte Karin. Sie schloss die Augen und legte die Hände vors Gesicht, um sich besser konzentrieren zu können.
»Geht’s dir nicht gut?«, erkundigte sich ihr Kollege und schloss die Luke hinter sich.
»Verdammt, sei einfach eine Minute still … Levern, Pottan, Elloven, Systrarna …«
Langsam stieg es von einem dunklen Platz tief unten im Bewusstsein auf. »Systrarna Elloven« – »Die Schwestern Elloven« hatte auf der Rückseite des Fotos in Martas Schlafzimmergestanden. So war es doch. Aber es ging keineswegs um die Frauen auf dem Bild, es war ein Ort! Systrarna, also die Schwestern, waren zwei Schären, die dicht nebeneinander gleich nördlich von Pater Noster lagen. Elloven war eine kleine Insel, südlich der beiden gelegen.
»Guck mal hier«, sagte Karin und wies auf die Seekarte. Sie berichtete von dem Foto bei Marta und zeigte auf die Inseln bei Pater Noster. Ihr Herz klopfte.
»Ja, verwunderlich ist das nicht«, sagte Rob, der auf der Abdeckung des Motors saß, »ich kenne noch andere, also ich meine,
normale
Menschen, die genauso gedacht hätten, wenn sie diesen Text auf einem Foto von zwei Frauen gelesen
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