Die Tochter des Leuchtturmmeisters
fragen.« Arvid wich Siris Händen geschickt aus, lenkte ihre Schritte stattdessen zur Tür, öffnete sie und schob sie mehr oder weniger unsanft hinaus.
Irene sagte zunächst nichts, wirkte aber offensichtlich zufrieden. Dann konnte sie sich die Bemerkung doch nicht verkneifen: »Wie ich sehe, war der Empfang sehr kurz.«
Ohne sie eines Blickes zu würdigen, verließ Siri das Büro und knallte die Tür hinter sich zu. So behandelt man mich nicht, ich bin doch nicht einfach Irgendwer, dachte sie und klopfte sich ein eingebildetes Staubkörnchen vom Ärmel ihres Mantels.
Carsten hatte die Situation rasch erfasst. Es war elf geworden, bevor Karin auftauchte, und nicht nur die Müdigkeit war schuld an ihren rotgeränderten Augen. Er kam mit zwei Tassen Kaffee in ihr Zimmer und sagte dann ohne Umschweife: »Ich will, dass du diese Ermittlung führst, Karin.« Er hob die Hände und bat sie, mit der Antwort zu warten, bis er ausgeredet hatte.
»Du bist wie geschaffen dafür. Bei deinen Erfahrungen. Schon vom Kripo-Einsatzdienst her, wo du immer als erster Mann am Tatort warst …«
»Als erste Frau«, korrigierte sie und nahm einen Schluck vom Kaffee, was ihre Geschmacksnerven protestieren ließ.
»Ja, ich weiß. Das Zeug hat schon eine Weile gestanden. Sorry.« Carsten stellte die eigene Tasse auf den Schreibtisch und fuhr fort: »Hier bei uns bist du ja schon bei einigen Ermittlungen dabei gewesen. Und was wir beobachtet haben, hat uns gefallen. Sieh das hier jetzt als sanften Einstieg. Als Erstes muss geklärt werden, wann er gestorben ist. Soweit ich beurteilen kann, ist er bereits eine ganze Weile tot, also geht es um richtige alte Detektivarbeit. Na, was sagst du?«
Karin schloss die Tür des Magazins und ging mit dem neuen Ordner zu ihrem Schreibtisch. Dort beschriftete sie das Etikett mit »Pater Noster«, dem Namen ihrer ersten eigenen Ermittlung. Zunächst übertrug sie ihre Notizen vom Vortag. Dann stellte sie eine Liste der Kontaktpersonen auf.
Es war ein äußerst unruhiges Frühlingswochenende gewesen, und der Mann aus dem Vorratskeller genoss wohl kaum oberste Priorität. Karin setzte sich erst gar nicht, als sie in der Universitätsklinik am Medicinarberget anrief, in deren Rechtsmedizinische Abteilung man die Leiche gebracht hatte. Zur Obduktion hatte Margareta Rylander-Lilja noch keine Zeit gefunden. Karin hörte die Gerichtsmedizinerin am Hörer zögern, bevor sie weitersprach: »Ich weiß, was du fragen willst, und stelle ungern Vermutungen an, aber ermuss da ziemlich lange gelegen haben.« Margareta redete langsam und sorgfältig, äußerte nie etwas Voreiliges, und wenn man genau hinhörte, konnte man einen letzten Rest ihres Dalarna-Dialekts ausmachen, den sie in vielen Jahren nahezu ganz ausgemerzt hatte.
»Wenn man nun doch etwas sagen würde. Wie lange ungefähr, über den Daumen gepeilt?«, fragte Karin und dachte, dass die Verjährungsfrist bei Mord in Schweden fünfundzwanzig Jahre betrug. Einen Moment lang blieb es still. Dann erwiderte Margareta: »Ich würde sagen, zwischen zwanzig und vierzig Jahren. Genauere Informationen kann ich erst später liefern. Bis dahin könnt ihr euch ja seine Sachen vornehmen, um zu sehen, ob sie sich zeitlich einordnen lassen. Schön zu hören, dass du die Ermittlung führst. Jetzt bekomme ich Besuch, aber ich melde mich.«
Karin blieb mit dem Hörer in der Hand stehen, die Worte der Gerichtsmedizinerin hatten ihr Herz erwärmt und das Blut in die Wangen getrieben. Gleichzeitig hoffte sie, dass sie den Erwartungen gerecht werden konnte.
Sie saßen in Carstens Zimmer und diskutierten die Frage, warum man jemanden einmauerte und warum derjenige, der eingemauert wurde, keinen Widerstand geleistet hatte.
»Er muss bereits tot gewesen sein«, sagte Karin.
»Aber warum macht man sich die Mühe, ihn einzumauern? Es wäre doch einfacher gewesen, ihn im Meer zu versenken«, hielt Carsten dagegen.
Karins Mobiltelefon klingelte.
»Ja, hallo. Sicher.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr: »Passt genau.«
Mit einem Lächeln sagte sie zu Carsten: »Das war ein pensionierter früherer Polizist aus Marstrand. Mit Namen Sten Widstrand. Er hat von der Leiche gehört und glaubt, behilflich sein zu können. Ich fahre hin und höre, was er zu sagen hat.«
»Kannst du Folke mit hinzuziehen?«, fragte Carsten.
Karin lachte bereits, als sie begriff, dass es Carsten ernst war.
»Am liebsten nicht.«
Schweden war ein schönes Land, er konnte es nicht
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