Die Tochter des Leuchtturmmeisters
leugnen, als er jetzt um zehn Uhr morgens an Bord der Fähre zwischen Koön und Marstrandsön stand. Vielleicht lag es an seinen schwedischen Genen, dass er das so empfand. Obwohl er in Rinteln, einer kleinen deutschen Märchenstadt mit schönen alten Fachwerkhäusern aufgewachsen war, hatte er sich dort nie heimisch gefühlt. Als ihm die Eltern erzählt hatten, dass er adoptiert worden war, hatte er das Gefühl, dass jetzt alles seinen richtigen Platz erhielt, doch damit fing auch das Suchen an. Er musste einfach seinen Ursprung ergründen.
Er hatte eine Ausbildung als Journalist, und nach einer zeitweiligen Anstellung bei einer größeren Tageszeitung hatte er beschlossen, auf eigenen Füßen zu stehen. Als freiberuflich tätiger Mitarbeiter mailte er seine Artikel von überallher an die deutschen Auftraggeber. Das Geld wurde ihm aufs Konto überwiesen, und er reiste zum nächsten Ort weiter. Im letzten Halbjahr war er in Dänemark gewesen, und jetzt befand er sich also in Schweden. Insgesamt hatte er vierzehn Artikel über das Land geschrieben, über rote Häuser, die Grundsteuer und alle technischen Details im Zusammenhang mit einem Hauskauf. Die Nachfrage nach seinen Artikeln war über Erwarten groß. Als er von Österlen berichtet hatte, war der dortige Grundstückserwerb durch deutsche Käufer gewaltig in die Höhe geschnellt. Dieses riesige deutsche Interesse fand nicht nur positiven Widerhall. Wenn die einheimische Bevölkerung wählen könnte, hätte sie schwedische Nachbarn aus der näheren Umgebung vorgezogen.
Die Touristeninformation von Marstrand war jetzt, vor Beginn der Saison, noch nicht geöffnet, aber er hatte auf eigene Faust eine Familie gefunden, die bereit gewesen war,ihm die Wohnung im Souterrain ihres Marstrander Hauses zu vermieten. Die Bleibe war nicht groß, bestand nur aus Zimmer und Küche, in der ein altertümlicher Herd für Holzfeuerung stand, auf den er großen Wert legte. Mit der Familie teilte er sich ein frisch renoviertes Badezimmer und die Waschküche. Zu Letzterer gehörte auch ein Nebengelass mit beheiztem klinkergepflastertem Boden und einem Trockengestell, an das er seine nasse Taucherausrüstung hängen konnte. Zusammen mit der gestreiften Katze verfügte er über einen eigenen Eingang, die Katze benutzte allerdings die Luke in der Tür.
Fast jeden Tag machte er Feuer im Herd. Es gefiel ihm heimzukommen, den Korb zu greifen und im Schuppen Brennholz zu holen. Er füllte auch einen für Sara, die Frau des Hauses, in dem er zur Miete wohnte. Er sprach nur selten mit ihr, stellte ihr den Korb, mit einem Jutesack zugedeckt, einfach vor den Eingang.
Neben dem Herd befand sich eine Aussparung für Brennholz in der Mauer. Er nahm etwas Zeitungspapier und ein paar trockene Späne und machte Feuer. Als die Flammen loderten, legte er Holz nach. Den Rest stapelte er in der Aussparung. Die Wärme des Feuers war wunderbar. Es war so echt, selbst die Seele schien es zu erwärmen, und er kochte sein Essen lieber hier auf diesem Herd, als dass er den modernen Elektroherd in der Küche benutzte.
Vielleicht waren es Betrachtungen dieser Art, die seine Artikel so begehrt machten, seine Fähigkeit, auch kleine Dinge zu sehen, Details hervorzuheben, so dass die Leser teilhaben konnten am Prasseln des Birkenholzfeuers und dem Duft der leise köchelnden schwedischen Erbsensuppe.
Bei seinen Recherchen hatte er schließlich auch den Namen seiner biologischen Mutter herausgefunden – was ihn hierher nach Marstrand geführt hatte. Es war nicht einfach gewesen und hatte ihn so manchen Euro gekostet. Über seinen Vater hatte er noch nichts in Erfahrung gebracht, mittlerweilewar er aber geschickt darin, Spuren zu verfolgen und vergessene oder absichtlich verborgene Tatsachen aufzudecken. Zwar wäre es einfacher gewesen, wenn er Schwedisch gesprochen hätte, aber seine blauen Augen und sein ehrliches Aussehen hatten ihm mehr als einmal unerwartet Türen geöffnet. Heimatvereine, Kirchenbücher und kleine Ortsbibliotheken mit engagierten, kundigen Bibliothekaren waren die reinsten Fundgruben.
Bereits mehrmals hatte er die Frau gesehen, die, wie er jetzt wusste, seine richtige Mutter war. Aber er hatte keine Ahnung, wie er sich ihr nähern und ob er es tun sollte. Sich bei Mitgliedern ihrer Familie einzumieten, war ein erster Schritt gewesen. Er beobachtete sie beim Einkauf im Laden und wenn sie am Kai spazieren ging. Einmal war er ihr hinterhergerannt, als sie ihre Fährkarte verloren hatte, und
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