Die Tochter des Leuchtturmmeisters
ihrer beider Hände hatten sich kurz berührt. Er fragte sich, ob die Hände der Frau ihn erkannt hatten, das Blut, das in seinen Adern floss. Sie hatte ihm lächelnd gedankt, und er war stehen geblieben und hatte ihr hinterhergeblickt, als sie zur Fähre geeilt war. Erst als das Schiff mit ihr an Bord abfuhr, hatte er sich umgedreht und war dem Weg zur Bibliothek gefolgt, den man ihm beschrieben hatte.
Die Bibliothek von Marstrand logierte im Erdgeschoss des Rathauses, eines einfachen, aber schönen Steingebäudes, gelegen an dem offenen Platz, über den die Krone der großen Silberpappel ihren Schatten wandern ließ. Graziös verzierte Veranden, an denen die Farbe abblätterte, warteten geduldig auf dringend notwendige Pinselstriche, während die Besitzer noch immer diskutierten, ob man altbewährte Ölfarben benutzen sollte oder besser neue, erst kürzlich entwickelte Materialien.
Von der kopfsteingepflasterten Långgatan neben der Silberpappel konnte man außer dem Rathaus auch die Rückseite des Gesellschaftshauses erblicken, und rechter Hand lagen das Meer und die nördliche Hafeneinfahrt. Hatte mandie Silberpappel im Rücken und legte den Kopf in den Nacken, sah man oben auf der Höhe die Festung Carlsten thronen. Die schmale Straße führte den steilen Festungshang hinauf, der eng gesäumt war von alten niedrigen Häuschen.
Markus hatte zuerst den Heimatverein aufgesucht. Das weiße Holzgebäude lag hinter dem Rathaus, umgeben von einem weißen Bretterzaun. Dort zeigte man gerade eine Fotoausstellung: »Marstrand gestern und heute«. Seinen Fragen begegnete man mit großem Entgegenkommen, ganz besonders, weil er sich ebenso für Dinge interessierte, die sich unter wie über Wasser befanden. Zahlreiche Schiffe waren im Umkreis Marstrands in den berüchtigten Kopparnaglarna-Schären gesunken. Markus liebte es, sich all die verborgenen Schätze unter der Meeresoberfläche vorzustellen, die viel schwerer zugänglich und dank der sauerstoffarmen Umgebung oft weitaus besser erhalten waren als alles an Land.
Zwei Wochen hatte er gebraucht, um das Fotoarchiv des Heimatvereins durchzugehen, aber schon nach vier Tagen hatte sich der Besuch für ihn gelohnt. Er hatte nicht nur die enthusiastischen Leute des Vereins kennengelernt, nein, er war auch auf interessante Fotos gestoßen. Die Serie, an die er in erster Linie dachte, war 1963 von einem Berufsfotografen aufgenommen worden und zeigte jeden einzelnen Gast, der im Spätsommer desselben Jahres an einem Fest in Doktor Lindners Villa auf Klöverön teilgenommen hatte. Die Villa war äußerst schön gelegen, direkt am Albrektssunds-Kanal, und noch mehr als für die anwesenden prominenten Geladenen interessierte sich Markus für ein auf dem Kanal befindliches Segelboot. Paar um Paar war am Ufer mit erhobenen Champagnergläsern abgelichtet worden, während das Segelboot im Hintergrund vorüberfuhr. Zwei Männer und zwei Frauen waren an Bord. Er wusste jetzt, dass die Frau auf dem Bild Nummer fünf, die mit dem Gesicht zum Fotografen im Cockpit saß, seine Mutter war. Jetzt blieb nur noch die Frage offen, wer von den beiden Männern sein Vater war.
4.
Karin hätte sich gewünscht, dass ein anderer Kollege sie begleitete, jetzt aber saß sie hier mit Folke am Steuer im Wagen. Nicht nur Folkes Gesellschaft verdarb ihr die Laune, sondern auch die Tatsache, dass er sich geweigert hatte, von der Straße abzubiegen, um bei McDonald’s in Kungälv einen Kaffee zu holen. Er hätte schließlich den Dokumentarfilm gesehen und wüsste, was passierte, wenn man Fast Food äße. In anschaulichen Worten und belehrendem Tonfall berichtete er Karin davon. Folke war nicht nur ein engagierter Leser des Magazins »Test & Rat«, was keinem in seiner Umgebung verborgen bleiben konnte, sondern auch eifriger Abonnent der Zeitschrift »Leib und Seele«. Karin dachte, dass der Tag lang werden würde, wenn sie sich schon jetzt in die Haare kriegten. Dennoch versuchte sie ihm zu erklären, dass sie ja nur eine Tasse Kaffee gewollt hatte. Diesen Kaffee vermisste sie ungemein, als das Auto nun auf Koön geparkt war und sie auf die Fähre warten mussten, die sie zur Marstrandsön hinüberbringen sollte. Die blaue, an einem Stahlseil laufende Fähre schien zu äußerst ausgefallenen Zeiten zu verkehren.
»Sieben Minuten nach jeder vollen Viertelstunde«, hatte das dunkelhaarige Mädchen vom Kiosk gesagt, bei dem sie die Fahrscheine erstanden hatten. Als Karin noch immer fragend blickte, hatte sie
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