Die Tochter des Leuchtturmmeisters
nicht«, erwiderte Siri. Sie hielt die Teetasse mit beiden Händen, trank aber nicht. Ihre Hände zitterten leicht, und Waldemar beugte sich zu ihr hinunter. Vorsichtig nahm er ihr die Tasse ab und stellte sie auf die Untertasse.
»Hast du ein paar Fotos von Arvid, beispielsweise euer Hochzeitsfoto?«
Siri wirkte abwesend, und ihre Antwort klang, als stellte sie sich die Frage selbst. »Wo könnten die sein? Auf dem Boden? Ja, ich kann natürlich danach suchen.«
»Könnte ich ihn nicht persönlich identifizieren?«, fragte sie dann.
Karin dachte an den Anblick der Leiche und antwortete mit gut überlegten Worten.
»Ein Körper verändert sich rasch nach Eintritt des Todes. Es ist nicht sicher, dass du ihn identifizieren kannst, und vielleicht ist es auch besser, ihn so in Erinnerung zu behalten, wie er im Leben gewesen ist.«
Siri nickte langsam. Dann schien ihr plötzlich ihre Gastgeberrolle wieder einzufallen.
»Aber, ihr habt ja gar nichts von eurem Tee getrunken.« Sie warf einen Blick auf die Uhr und zuckte zusammen.
»Himmel! Um sieben ist bei Waldrins der Empfang zum Sechzigsten, wir müssen uns fertigmachen.«
Karin schaute, wie spät es war. Drei Uhr. Benötigten diese Leute vier Stunden zum Umziehen?
»Sie haben vielleicht schon von der Familie Waldrin gehört?« Ohne eine Antwort abzuwarten, plapperte Siri drauflos. »Wirklich wunderbare Menschen. Milliardäre, aber ungemein bodenständig. Wir kennen sie sehr gut. Ganz Marstrand kommt dorthin.«
Karin bezweifelte, dass wirklich ganz Marstrand kommen würde, konnte sich die Frage aber nicht verkneifen: »Also heute hat man dort für alle Marstrander ein offenes Haus, wie schön.«
»Nein, Himmel nein, natürlich nicht. Aber alle unsere Bekannten sind eingeladen«, entgegnete Siri und fragte im nächsten Atemzug: »Ist es kühl draußen?«
»Typisch wechselhaftes Frühlingswetter. Kalter Wind, in der Sonne aber ist es warm«, gab Karin zur Antwort.
»Ich werde wohl meinen Pelz nehmen, um nicht zu frieren.«
Karin glaubte nicht, dass die Wahl der Kleidung irgendetwas mit der kühlen Luft zu tun hatte.
Als sie dann wieder im Wagen saßen, um zurück nach Göteborg zu fahren, sagte Folke: »Komisch, dass jemand nicht sofort sein Hochzeitsdatum weiß«. Er war wirklich ein Mann mit Sinn für Details, leider aber nicht für größere Zusammenhänge. Jedenfalls sah Karin ihn so.
»Ihr ist es dann doch noch eingefallen. Aber dass sie den Namen des Pastors wusste? Weißt du den noch, Folke?«, fragte Karin.
Der überlegte eine Weile: »Nein, wirklich nicht.«
Wider Erwarten fand Karin einen Parkplatz vor der Wohnung auf der Gamla Varvsgatan. Es war Montagabend und genau die Woche, in der üblicherweise die Reinigung der Karl Johansgatan erfolgen sollte, die durchs ganze Viertel führte. Manchmal fiel die Sache aber auch aus, trotzdem wurde nurselten versäumt, all denen einen Strafzettel zu verpassen, die dort, wo eigentlich gefegt werden sollte, parkten. Zwei Minuten nachdem sie das Auto abgestellt hatte, bogen drei Wagen mit entnervten Fahrern um die Ecke, die vergeblich nach einer Parklücke Ausschau hielten. Zum Glück war sie früher von der Arbeit weggekommen.
Karin steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Das Flurlicht schaltete sie gar nicht erst ein, sammelte nur die Post vom Boden auf und ging in die Küche, wo sie die Briefe neben die Kaffeemaschine legte. Die gehörte nicht ihr, sondern Göran. Sie hängte ihre Jacke über den Küchenstuhl und öffnete einen der Küchenschränke. Die Teller waren seine, das war also einfach. Die Gläser hingegen gehörten ihr, aber wie sollte sie mit den Sachen verfahren, die sie gemeinsam geschenkt bekommen oder angeschafft hatten? Sie schloss die Schranktür wieder und setzte sich. Nein, es war zu deprimierend, hier in der Wohnung zu bleiben.
Sie könnte doch zum Segelboot fahren, das draußen im alten Hafen von Långedrag lag. Wenn sie dafür allerdings das Auto nahm, würde es bei der Rückkehr absolut unmöglich sein, einen Parkplatz zu finden. Scheißegal, dachte sie. Wozu hat man ein Auto, wenn man es nicht benutzt?
Eine halbe Stunde später parkte sie am Alten Hafen in Långedrag und ging an Bord des Segelboots. Ihr war, als würden sämtliche Probleme von ihr abfallen.
»Hallo, du«, sagte sie leise und streichelte das kalte Stahldeck. Das Boot gehörte ihr, und das war ein Glück. Sie hätte sich nie von ihm trennen können.
»Heute komme ich allein«, sagte sie,
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